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Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Titel: Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gleichgültig. Da streifte sie mit ihrem Kleid die Chefsekretärin ab, ihr Dolmetscherdiplom, ihre Tüchtigkeit, ihre strenge Erziehung, die Klosterschule und noch so vieles andere von ihrem Leben.
    »Fräulein Anderssen, bitte zum Diktat« – sie mußte fast lachen. Hier im ›Liebeskarussell‹ hatte sie einen goldenen Büstenhalter, ein goldenes Höschen, hier trug sie schwarze Netzstrümpfe, hier wartete ein Scheinwerfer auf sie. Warteten Männer, die große, gierige Augen machten.
    Hier ließ keiner den Blick von ihr. Hier gab es überhaupt kein Fräulein Anderssen. In dieser Bar war sie eine Frau. Erlebte sie, was sie draußen vermißte: auch mal angestarrt zu werden, auch mal begehrt zu werden.
    Dieses Gefühl prickelte ihr auf der Haut, trieb sie immer wieder hierher. Es ließ sie für eine Weile ganz vergessen, daß sie einsam war. Zum Glück waren die Lähmungsanfälle, von denen sie Dr. Normann zweimal durch Hypnose geheilt hatte, nicht mehr aufgetreten.
    Eine Bar wie das ›Liebeskarussell‹ besaß natürlich nur eine einzige Garderobe. Da kamen die anderen Mädchen auch herein, die Tänzerinnen, die Tischdamen. Sie zogen sich aus und an, puderten sich, schminkten sich.
    Man kümmerte sich nicht viel um Helga Anderssen. Man ließ sie in Ruhe.
    »Servus, Helga.«
    Mehr war da meist nicht.
    Helga setzte jetzt ihre Maske auf, ging hinaus. Niemand würde sie erkennen. Schummeriges Licht empfing sie. Die Tische waren alle gut besetzt. Die Kapelle spielte einen Tusch.
    Der Gitarrenspieler griff sich das Mikrofon: »Meine Damen und Herren, Sie sehen nun das aufregendste Striptease einer Unbekannten. Viel Vergnügen!«
    Wenn Helga auf dieser kleinen Bühne tanzte, erfaßte sie eine Art Taumel. Das Publikum erregte sie. Jeder Beifall, wenn sie wieder ein Stück von ihren Kleidern zu Boden warf.
    Ein Mann, der gleich am ersten Tisch saß, durfte ihr den Büstenhalter aufknüpfen. Er lachte zwar dabei, aber seine Hände zitterten. Und das gefiel ihr, ja, das gefiel ihr!
    »Fräulein Anderssen, bitte zum Diktat …« Das hier war ihre Genugtuung für alles, was man ihr im Leben angetan hatte. Nackt vor fremden Männern, das verstand niemand, das war eine Sekunde des Glücks für sie.
    Striptease einer Unbekannten … Was hatte sie nur plötzlich? Sie sank in die Knie, sie fiel auf den Boden, sie wollte aufstehen und konnte nicht mehr.
    Der Scheinwerferkegel rahmte sie ein, geradeso, als gehöre das zu ihrer Nummer.
    Unter der Maske aber war Helgas Gesicht totenbleich. Sie spürte keine Arme mehr und keine Beine. Sie war gelähmt wie nie zuvor, völlig bewegungslos. Und nicht einmal mehr fähig, um Hilfe zu schreien.
    Dr. Normann brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, daß nicht das Telefon läutete, sondern die Türglocke. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen, knipste das Licht an, stellte fest, daß es zehn Minuten nach ein Uhr war. Barfuß, im Schlafanzug, lief er zur Tür. »Hallo«, brummte er in seine Sprechanlage.
    Eine männliche Stimme antwortete: »Herr Doktor Normann?«
    »Ja.«
    »Ich muß Sie dringend sprechen.«
    »Jetzt, mitten in der Nacht? Wer sind Sie?«
    »Ich heiße Adamek. Ich besitze ein Nachtlokal. Aber es geht nicht um mich, es geht um eine Patientin von Ihnen.«
    »Name?«
    »Helga Anderssen.«
    »Und?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Adamek aufgeregt, »es sieht wie eine Querschnittslähmung aus. Sie kann sich überhaupt nicht mehr rühren. Ich wollte sie ins Krankenhaus schaffen lassen, aber sie bestand darauf, daß ich Sie hole, Herr Doktor.«
    »Wo ist sie denn jetzt?«
    »Sie liegt in meiner Wohnung. Ich wohne gleich über der Bar, Orleansstraße.«
    »Warten Sie unten auf mich«, bestimmte Normann. Minuten später stand er draußen auf der Straße.
    Adamek lehnte neben seinem großen amerikanischen Wagen, zerdrückte eine Zigarette am Boden. »Guten Abend, Herr Doktor. Bitte, steigen Sie ein, ich bringe Sie hin.«
    Es war die Nacht von Samstag auf Sonntag, die längste Nacht in der Großstadt. Die Ampeln waren noch eingeschaltet, der Asphalt glänzte. Taxis jagten die Fahrbahnen entlang. Torkelnde Gestalten auf den Gehsteigen, Paare, Pärchen, Licht und Schatten, Fröhlichkeit und Einsamkeit, alles dicht beieinander.
    »Fräulein Anderssen war doch sicher nicht allein, oder?«
    Adamek ließ seine Augen nicht von der Fahrbahn. »Bitte, fragen Sie mich nichts. Sie wird Ihnen die Geschichte selber erklären.«
    Die Wohnung des Herrn Adamek sah so aus, als würden hier oft

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