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Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit

Titel: Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlimm genug. »Stephi, dich hat der Storch verwechselt, du solltest ein Junge werden …«
    Mein Gott, dachte Normann, wie viele Eltern sagten das gedankenlos zu ihren kleinen Töchtern! Gewiß, viele der Kinder setzten sich später darüber hinweg, aber viele bekamen auch einen Knacks fürs ganze Leben. Natürlich ohne daß es ihnen bewußt wurde – auch Stephi Helmer hob ihre schmalen Schultern und meinte: »Das ist alles lange her, und es war eigentlich meine schönste Zeit.«
    Als Normann sie ansah, senkte sie den Blick. Es war, als wollte sie sagen: »Jetzt geht's mir dreckig.«
    Ihr Selbstmordversuch war ziemlich merkwürdig gewesen. Sie hatte eine ganze Röhre Schlaftabletten geschluckt, war dann aber selber in der Klinik aufgetaucht und hatte sich den Magen auspumpen lassen. Der Arzt in der Klinik hatte ihr den Rat gegeben, sich an einen Psychiater zu wenden.
    Normann sprach jetzt darüber, und sie gab offene Antworten.
    »Warum ich noch lebe«, sagte sie, »daran ist Sabine schuld. Das ist meine kleine Tochter. Komisch, sonst schläft sie immer durch. Aber an diesem Abend schrie sie entsetzt auf, halb im Traum, halb wach. Ich ging an ihr Bett, sie klammerte sich an mich: ›Mami, Mami …‹«
    »Da hatten Sie die Tabletten schon genommen?«
    »Ja. Das Kind brachte mich zur Besinnung. Zuerst wollte ich sterben, und nun hatte ich auf einmal Todesangst. Na ja, es war ja noch früh genug für die Klinik.«
    »Und warum wollten Sie sterben, Frau Helmer?«
    Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete: »Mein Mann betrügt mich.«
    Die Worte kamen langsam und zäh über ihre Lippen.
    Neben der Tür leuchtete das kleine gelbe Lämpchen auf, mit dem ihm seine Sprechstundenhilfe das Zeichen gab, daß die Stunde um war. Für jedes Schicksal sechzig Minuten.
    »Über Ihre Ehe sprechen wir das nächste Mal, Frau Helmer«, verabschiedete Normann seine Patientin. Er sah ihr nach, wie sie hinausging, und über das Bild der Frau von heute schob sich plötzlich das Bild des kleinen Mädchens, das eine Jungenbande führte und die Treue mit Blut besiegelte …
    ›Dr. Richard Normann, Psychotherapeut, Sprechstunde nach Vereinbarung‹, las Laura. Sie brauchte nicht zu läuten. Eine junge Frau verließ gerade die Praxis.
    Flüchtig und etwas scheu betrachteten beide Frauen sich in der offenen Tür und deuteten ein Lächeln an. Beide trugen Eheringe. Beiden stand die unsichtbare Frage im Gesicht: ›Hast du auch Probleme?‹
    »Normann ist Junggeselle«, hatte Viktor heute früh beiläufig zu Laura gesagt. »Dabei sieht er aus, als müßten ihm die Frauen nachrennen.«
    Laura wandte sich um und warf der Schmalen, Dunklen, die da eben gegangen war, noch einen Blick nach. Viele Patientinnen verliebten sich angeblich in ihren Psychiater. War die Fremde da auch in Richard verliebt?
    Und wenn schon, dachte sie. Mich geht es nichts an. Es ist doch ganz klar, daß ich nicht seine Patientin werden kann. Ich will weder seine Patientin noch seine Geliebte sein. Ich will, daß er aus meinem Leben verschwindet. Ich will, ich will …
    Fühlte sie, wie die guten Vorsätze schwanden, als Richard Normann die Tür seines Zimmers schloß, dicht vor ihr stehen blieb und sie nur anschaute?
    »Guten Tag, Herr Doktor! So sagt man doch, nicht wahr?«
    »Ja«, antwortete er. »Bitte nehmen Sie hier Platz, Frau Riffart.«
    Sie gaben das Spiel gleich wieder auf. Laura war es, die sagte: »Ich glaube, wir dürfen uns nichts vormachen, Richard. Du bist für mich kein Arzt, ich bin für dich keine Patientin.«
    »Vertraust du mir nicht, Laura?«
    Sie hatte sich in den Sessel gesetzt, jetzt stand sie schon wieder auf, trat ans Fenster, mit dem Rücken zu ihm.
    »Vielleicht traue ich mir nicht«, sagte sie leise.
    Es war heiß, schwül, sie hatte kaum etwas an unter ihrem Kleid. Richard hätte sitzen bleiben sollen hinter seinem Schreibtisch. Statt dessen sprang er auf, faßte sie mit den Händen, drehte sie herum. Zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
    Lieber Gott, dachte sie, warum fühle ich jetzt diese Kälte nicht, warum tut sich hier keine Schranke auf, warum schreie ich ihm nicht ins Gesicht, daß ich ihn hasse? Warum durchströmt ein heißes, sehnsüchtiges Gefühl meinen Körper, warum möchte ich ihn jetzt küssen, die Augen schließen, nichts mehr denken?
    Schweiß perlte Richard auf der Stirn. »Laura«, sagte er heiser, »ich muß wissen, wie liebst du deinen Mann, was bedeutet er dir wirklich, was für eine Ehe führst du?«
    Es war grausam.

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