Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
legt sich ins Ehebett, seufzt vielleicht noch einmal glücklich und schläft ein.
Schritte entfernten sich auf dem Pflaster. Ein Mann in einem gutgeschnittenen, perlgrauen Anzug, einsneunzig groß, breitschultrig, verschwand im gegenüberliegenden Parkhaus. Laura Riffart war sicher nur eine Nummer für ihn, eine schöne Nummer, eine kleine Abwechslung am Abend.
Ich darf alles, nur nicht heimgehen, dachte Riffart. Wenn sie mir jetzt die Türe aufmacht, im Nachthemd vielleicht, Freude heuchelnd über den so überraschend zurückgekehrten Ehemann – ich glaube, dann bring' ich sie um. Nein, dachte er weiter, ich werde es ganz anders machen. Für dich, Laura, bin ich noch in Berlin. Du darfst mich morgen abholen, du darfst strahlend am Flughafen erscheinen, du wirst mir nichts anmerken. Ich will sehen, wie weit ihr geht, du und dein Doktor! Und ich will sehen, ob ich dir nicht die Hölle bereiten kann.
»Guten Morgen, Herr Direktor.« Die drei Mädchen im Direktionssekretariat sagten es fast gleichzeitig.
»Fräulein Anderssen«, der Direktor sagte es, ohne den Gruß zu erwidern, »ich hätte Sie gern einen Augenblick gesprochen.«
»Bitte.« Helga stand auf und folgte ihm in sein Büro.
Alex Frey leitete die Konstruktionsabteilung des Automobilwerks. Er war ein Mann an die Sechzig, kein sehr gemütlicher Chef, sehr unpersönlich im Umgang mit seinen Angestellten. »Fräulein Anderssen«, begann er das Gespräch, »ich verliere ungern eine solch tüchtige Kraft wie Sie …«
Helga senkte ihren Blick.
»… leider hat mich das Polizeipräsidium verständigt, daß Sie noch eine Nebenbeschäftigung ausüben, die sich wohl nicht mit dem Ruf unserer Firma vereinbaren läßt.«
Helga fühlte, wie ihr brennende Röte ins Gesicht stieg.
»Es stimmt also?« fragte ihr Chef.
»Ja.«
»Ehrlich gesagt, Fräulein Anderssen, ich bin völlig sprachlos. Ich habe Sie immer für eine sehr nüchterne, sehr vernünftige Person gehalten. Und nun stellt sich heraus, daß Sie eine heimliche Stripteasetänzerin sind.«
Was sollte sie ihm antworten? Daß sie keine vernünftige, sondern eine verkorkste Person war? Sollte sie ihm etwa ihre Probleme offenbaren? »Sie brauchen sich keine Sorge zu machen, Herr Direktor«, sagte sie. »Wenn Sie es gestatten, gehe ich sofort.«
»Sonst wollen Sie keine Erklärung abgeben, Fräulein Anderssen?«
Helga zuckte die Schultern. »Sie würden es doch nicht verstehen.«
»Nun, es ist Ihre Privatsache. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie gleich gehen wollen. Ihr Gehalt werde ich Ihnen bis übernächsten Ersten anweisen lassen.« Eine kühle Hand, eine kühle Stimme: »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Fräulein Anderssen.«
Zum letztenmal ging sie über den dicken, roten Perser, zum letztenmal öffnete und schloß sie die gepolsterte Tür.
Sie hatte sich fest in der Gewalt. Sie packte ohne Hast ihre Handtasche zusammen, nahm ihren Mantel aus dem Garderobenschrank und verschwand spurlos durch die Glastür.
Entlassen.
Mit Schimpf und Schande davongejagt. So, als hätte sie aus der Portokasse ein paar Mark entwendet.
Das dachte sie erst, als sie draußen auf der Straße stand und auf die sonnenbeschienenen Werkshallen blickte.
Was nun?
Auf einmal sah sie alles ganz klar, in dem erbarmungslosen Licht dieses Morgens. Gescheitert, ja das war das richtige Wort. Eine Frau, Anfang Dreißig, ohne Mann, ohne Glück, ohne Karriere. Den letzten Rest Selbstbewußtsein hatte sie gerade zurückgelassen, dort oben im Direktionszimmer. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Fräulein Anderssen …«
Langsam ging Helga dem Ausgangstor zu, und ihre Gedanken waren ganz sachlich und ohne jede Beschönigung. Sie würde wieder eine Stellung finden, sicher, aber nur eine mittelmäßige. Für die guten brauchte man Referenzen.
Eine plötzlich aufsteigende Panik schnürte ihr fast das Herz ab. Was konnte jemand wie sie noch groß erwarten vom Leben? Was war denn noch drin, was stand denn noch aus, wenn alles so restlos verfahren war?
Der Portier grüßte, als sie an ihm vorbeiging.
Heute war Donnerstag, noch nicht mal neun Uhr vormittags. Einen langen, sinnlosen Tag hatte sie vor sich. Am Abend sollte sie bei Dr. Normann sein, zur zweiten psychotherapeutischen Gruppensitzung. Helga dachte an die anderen drei Frauen. Alle drei verheiratet. Paßte sie überhaupt zu denen? Was sie auch für Sorgen hatten – sie hatten einen Mann, zu dem sie gehörten. Sie waren nicht allein. Wenn man einen Mann hatte, dann konnte man
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