Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
nicht wissen, wie das war: immer allein zu sein, auf eigenen Füßen zu stehen, wie es so schön hieß.
Die hatten es gut, die anderen!
Ellen Diekenhorst schrak zusammen, als sie plötzlich die Stimme des Butlers hörte. Frederik mußte lautlos über den Rasen geschlichen sein.
»Gnädige Frau, dieser Brief ist eben abgegeben worden.«
»Danke, Frederik.« Sie trug einen weißen Badeanzug und lag im Liegestuhl neben dem Swimming-pool.
»Außerdem läßt der Herr Konsul fragen, ob er Ihnen den Chauffeur schicken soll, für Ihre Verabredung heute abend?«
Sie winkte ab. »Nicht nötig, ich fahre selbst.«
Frederik entfernte sich.
Ellen Diekenhorst ließ vom Liegestuhl aus ihre Hand ins Schwimmbecken hängen. Das Wasser war angenehm kühl und kräuselte sich schwach in einer aufkommenden Brise.
Diskret sprach man von einer Verabredung. In Wirklichkeit verbarg sich dahinter der Gang zum Psychiater. Ein runder Tisch, vier Frauen, ein Arzt – eine merkwürdige Zusammenkunft.
Ach ja, der Brief. Ein feines Büttenkuvert, die Adresse sah wie gedruckt aus: ›Herrn und Frau Konsul Dr. h.c. Diekenhorst, Kremser Weg 1‹. Sie riß das Kuvert auf, las halblaut die Einladung: »Der Rotary Club lädt zu seinem Jahresessen in den Continental-Grillroom.«
Ellen ließ das Blatt sinken. Der Gedanke an eine Festtafel ließ sie erschauern. Es würde wieder Debatten mit ihrem Mann geben.
»Wir müssen da hingehen, Ellen.«
»Ich kann nicht. Glaub mir, ich kann nicht. Ich muß mich doch erbrechen, Rudolf, bei jedem Bissen, verstehst du das denn nicht?«
Ellen Diekenhorst stand auf, hängte sich ihren Bademantel um die Schultern und ging die Treppe zum Haus hinauf. Kein Mensch versteht das. Am allerwenigsten ich. Seit acht Wochen verhungere ich langsam. Kein fester Bissen geht mehr durch meine Speiseröhre. Alles bleibt stecken. So sehr ich mich auch zwinge, ich bringe nichts hinunter, nur Flüssiges.
Ellen Diekenhorst durchquerte die große Halle, verschwand in ihrem Ankleidezimmer. Sie streifte ihren Badeanzug ab und betrachtete sich im Spiegel. Ich bin nicht mehr schlank, ich bin mager. Die Knochen stehen mir heraus, die Haut bekommt Falten, jede weibliche Rundung ist verschwunden. Ich kann kein Dekolleté mehr tragen, sogar die Ringe an den Fingern werden mir zu weit. In ein paar Wochen bin ich eine alte häßliche Frau. Und niemand wird mehr zu mir sagen: »Gnädige Frau, Sie sehen heute wieder bezaubernd aus, wie fünfundzwanzig.«
Ellen entschied sich für ein sandfarbenes Jackenkleid. Darin gefiel sie sich noch am besten. Schönheit? Spielte die in ihrem Zustand überhaupt noch eine Rolle? Lag sie nicht nachts stundenlangwach in ihrem Bett und kämpfte mit der nackten Todesangst?
Von Arzt zu Arzt war sie gelaufen, von Professor zu Professor, ihr Mann hatte eine Schweizer Kapazität nach München fliegen lassen, alle trösteten sie übereinstimmend: »Nein, gnädige Frau, es ist kein Speiseröhrenkrebs. Es ist überhaupt nichts. Es gibt keine organische Ursache. Es muß einen seelischen Hintergrund haben.«
Große, viel zu große Augen blickten sie aus dem Spiegel an. Sie faßte sich an die Schläfen. Ich weiß nichts, ich weiß wirklich nichts. Ich habe doch alles, wovon eine Frau träumen kann. Einen Mann, den ich liebe, einen kleinen Sohn, Reichtum, ein wunderbares Leben.
Ich muß verrückt sein.
Oder alle belügen mich. Und es ist doch Krebs.
Stephi Helmer brachte ihre kleine Tochter um vier Uhr zu ihrer Schwiegermutter. Sie wohnte ganz in der Nähe, und Sabine schlief öfter bei ihr.
»Ich hole sie morgen vormittag wieder ab«, sagte Stephi, »wenn's dir recht ist.«
»Natürlich. Ich bin froh, wenn ein bißchen Leben in die Wohnung kommt.«
Stephi hatte ein recht gutes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter. Trotzdem traf sie heute ein etwas mißtrauischer Blick.
»Hast du etwas Besonderes vor?«
»Wieso?«
»Weil du so hübsch zurechtgemacht bist.«
»Ach wo«, winkte Stephi ab, »ich will Besorgungen in der Stadt machen. Und vielleicht gehe ich später ins Kino.«
»Bist du nicht letzten Donnerstag auch ins Kino gegangen?«
»Ja, und?« fragte Stephi gereizt. »Darf ich das nicht?«
Martins Mutter griff schnell nach ihrer Hand. »So war das doch nicht gemeint. Ich habe nur manchmal ein bißchen Angst um dich. Martin ist die ganze Woche unterwegs, du bist viel allein, du bist noch jung.«
»Mach dir keine Gedanken, Oma«, schnitt sie ihr das Wort ab, »du weißt ja, wir sind gut
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