Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
ausgeliefert ist?«
»Und trotzdem wollen Sie ihr alles sagen? Ich warne Sie, Herr Doktor! Sie zerstören eine glückliche Ehe.«
»Nein«, widersprach Normann scharf, »ich zerstöre eine Illusion, ein Trugbild. Als Therapeut muß ich das. Die glückliche Ehe, an die sich Ihre Frau klammert, existiert ja gar nicht.«
Der Konsul besann sich plötzlich. Er schlug einen versöhnlicheren Ton an. »Ich finde es normal, wenn ein Mann für schöne Frauen etwas übrig hat. Solange es kleine Abenteuer bleiben, braucht das eine Ehe doch überhaupt nicht zu berühren.«
Dr. Normann sah ihn an. »Sie wollen mich nicht verstehen, nicht wahr? Ihr Leben geht mich nichts an, Herr Konsul, ich möchte das noch einmal feststellen. Ich mache Ihnen weder Vorwürfe, noch urteile ich. Ich stelle nur eine Diagnose und überlege mir eine Therapie. Wenn Sie so wollen, dann ist das ein rein medizinischer Vorgang …«
»… die sofortige Entfernung meiner Sekretärin aus meinem Vorzimmer?«
»Ja, Sie müssen sich von Fräulein Lieven trennen. Sie müssen Ihrer Frau beweisen, daß die Gefahr vorüber ist.«
Rudolf Diekenhorst betrachtete ihn mißtrauisch. »Und Sie glauben, daß Ellen dann gesund wird?«
»Sie wird ihre momentanen Beschwerden verlieren, ja, das glaube ich.«
Der Konsul warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. »Wenn ich ehrlich sein soll, ich glaube es nicht. Aber ich werde trotzdem auf Ihren Vorschlag eingehen. Fräulein Lieven wird in den nächsten Tagen durch eine weniger attraktive Dame ersetzt. Sind Sie nun zufrieden mit mir?«
Der Ton reizte Normann. Deshalb sagte er: »Was wir hier aushandeln, Herr Konsul, ist nicht viel mehr als ein Taschenspielertrick. Er dient einem bestimmten Zweck. Das Endziel einer psychoanalytischen Behandlung ist selbstverständlich ein anderes …«
»Nämlich?«
»Entfaltung der Persönlichkeit«, antwortete Dr. Normann. »Sie glauben gar nicht, welche Wunder da geschehen. Darf ich Ihnen ein schlimmes Beispiel nennen?«
»Ich bitte darum.«
»Ein amerikanischer Kollege von mir hat eine Frau behandelt, die sich jahrelang von ihrem Ehemann in unvorstellbarer Weise quälen ließ und die es trotzdem nicht fertigbrachte, sich von ihm zu trennen.« Er machte eine Pause, ehe er fortfuhr: »Mein Kollege baute ihr Selbstbewußtsein auf. Er stärkte ihr das Rückgrat und riet ihr zur Scheidung. Sie ist aber noch einen Schritt weitergegangen: Sie hat ihren Mann umgebracht.«
Es gehörte zur psychotherapeutischen Gruppenbehandlung in Dr. Normanns Praxis, daß draußen vor dem Fenster der Himmel langsam dunkel wurde. Die Dämmerung löste die Zungen, erleichterte die Geständnisse der vier Frauen, die mit dem Psychiater am runden Tisch saßen.
»Mein Vater lebt noch«, sagte Helga Anderssen. »Ich habe Hemmungen, diese Geschichte hier zu erzählen.«
»Wir kennen deinen Vater nicht«, hielt ihr Stephi Helmer entgegen. »Wir werden ihn auch nie kennenlernen. Was soll's also?«
Noch mit keinem Menschen hatte Helga Anderssen darüber gesprochen. Jetzt tat sie es plötzlich, in einem fremden Zimmer, in Gegenwart von drei Frauen und einem Arzt. »Vielleicht fange ich damit an, daß ich sehr prüde erzogen worden bin. Mit keinem Wort aufgeklärt, vollgestopft mit falschen Vorstellungen – das war ich mit sechzehn.« Sie stockte, blickte sich in der Runde um, ehe sie weitersprach. »Ein paar Tage nach meinem sechzehnten Geburtstag bekam meine Mutter einen anonymen Brief, in dem behauptet wurde, daß mein Vater mehrere Liebschaften unterhalte.«
»Hat das denn deine Mutter mit dir besprochen?« fragte Laura.
»Ja. Und nicht nur besprochen. Von diesem Tag an mußte ich, allein oder zusammen mit ihr, meinen Vater regelrecht überwachen. Wir folgten ihm, wenn er das Büro verließ, wir folgten ihm am Abend, wenn er angeblich zu seiner Kartenrunde ging.«
Ellen schüttelte den Kopf. »Ja, hat er denn das nicht bemerkt?«
»Nein. Mutter und ich entwickelten erstaunliche Fähigkeiten.«
Doktor Normann unterbrach sie an dieser Stelle zum erstenmal. »Wie standen Sie zu Ihrem Vater, Helga?«
»Nicht besonders gut. Er ließ mich nirgends hingehen, hübsche Kleider durften für mich nicht gekauft werden, er verbot mir Lippenstift und Dauerwellen – na, und noch so einiges.«
»Betrachten Sie es vielleicht als eine Art Rache, diese Verfolgungsjagd?«
»Mag sein«, gab Helga zu. »Ich konnte ja nicht ahnen, daß mir nun eine ganz besondere Aufklärung bevorstand.«
Es war jetzt ganz plötzlich still
Weitere Kostenlose Bücher