Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
angemeldet?«
»Ja.«
»Zimmer zweiundzwanzig, im ersten Stock.«
Er ging die Treppe hinauf, klopfte kurz an, trat ein. Natürlich war das erst das Vorzimmer. Das Mädchen hinter dem Schreibtisch nahm wohl jedem Besucher, der ein Mann war, zunächst mal den Atem.
Dr. Normann hätte das kleine Namensschild auf dem Schreibtisch – ›Edith Lieven‹ – gar nicht zu lesen brauchen. Er hätte auch so gewußt: Sie ist es.
Norman versuchte, sich Ellen Diekenhorst vorzustellen, wie sie das erste Mal dieses mandeläugige, fast ein wenig asiatisch anmutende Geschöpf im Vorzimmer ihres Mannes sah. Vielleicht hatte das Mädchen damals auch diese Seidenbluse getragen, durch die sie ihre jungen, festen Brüste zur Schau stellte. Vielleicht hatte sie ähnlich merkwürdig gelächelt, so wie jetzt, Zähne wie Perlen entblößend.
»Bitte schön?«
»Mein Name ist Normann. Doktor Richard Normann. Ich glaube …«
Wieder ihr Lächeln, und ihr kühler Blick. »Der Herr Konsul erwartet Sie schon.«
Rudolf Diekenhorst begrüßte den Arzt durchaus freundlich. Und er zeigte auch, daß er ihr letztes Gespräch nicht vergessen hatte. Selbstsicher fragte er: »Haben Sie einen Gedankenblitz, Doktor?«
Norman nahm in einem der feudalen Ledersessel Platz, und er mußte sich eingestehen, daß ihn der selbstsichere Ton ärgerte.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten, Herr Doktor?«
»Nein, danke schön.« Nur ein paar ehrliche Antworten, dachte er. »Herr Konsul«, begann er vorsichtig, »ich bin der Arzt Ihrer Frau. Wir beide wollen, daß sie möglichst bald wieder gesund wird. Meine Fragen dienen ausschließlich diesem Zweck.«
»Dieser Vorrede bedarf es gar nicht, Herr Doktor. Wenn Sie Ellen tatsächlich mit einem Gedankenblitz heilen – dann schicke ich Ihnen so viele Patienten, daß Sie eine Klinik aufmachen müssen.«
Dr. Normann beobachtete ihn jetzt scharf. Hinter dem Konsul, an der Wand, hingen ein paar Ölporträts. Sicher der Vater Diekenhorst, der Großvater, der Urgroßvater – eine richtige Dynastie.
»Besucht Ihre Frau Sie oft hier im Büro?« erkundigte er sich.
»Nicht oft.«
»Wann war es das letzte Mal?«
»Das könnte drei Monate her sein. Vor ihrer Krankheit jedenfalls.«
Normann war jetzt ganz sicher. »Und ungefähr um diese Zeit wechselten Sie auch Ihre Sekretärin?«
Ein wachsamer Ausdruck trat in die Augen des Konsuls. »Ja, könnte stimmen. Aber ich glaube, da kommen Sie nicht weiter, Herr Doktor. Ich habe immer hübsche Personen im Vorzimmer sitzen gehabt.«
Norman warf ihm einen kalten Blick zu. »Muß ich es wirklich aussprechen, Herr Konsul?«
Diekenhorsts Gesicht spannte sich. »Was wollen Sie aussprechen, Herr Doktor?«
»Daß die Dame im Vorzimmer Ihre Geliebte ist und daß Sie sich, wenn Ihnen an Ihrer Frau wirklich etwas liegt, umgehend von ihr trennen müssen!«
Diekenhorst war bleich geworden. »Was sind Sie eigentlich, Herr Doktor Normann, Arzt oder Privatdetektiv?«
»Arzt«, antwortete Normann ungerührt.
»Soweit ich weiß, bezahle ich regelmäßig Ihre Rechnungen.«
Diese Anspielung machte keinen Eindruck auf den Arzt. Er sah den Konsul kühl an. »Wer die Rechnungen bezahlt, ist mir gleichgültig. Nicht gleichgültig ist mir der Zustand Ihrer Frau. Sie ist krank, und es ist meine Aufgabe, ihr zu helfen.«
Diekenhorst verschränkte hochmütig seine Arme vor der Brust. »Ich habe nichts dagegen, daß Sie Ellen behandeln. Aber ich habe sehr viel dagegen, daß Sie in meinem Privatleben herumschnüffeln.«
Dr. Normann zuckte die Achseln. »Ich dachte, ich kann mit Ihnen vernünftig reden. Ich bildete mir ein, daß Sie Ihre Frau noch lieben. Ich sehe, ich habe mich getäuscht.«
Der Konsul griff nach seinem Zigarettenetui. »Was weiß Ellen, meine Frau, von der Geschichte?«
»Nichts, denke ich.« Er verbesserte sich schnell: »Noch nichts. Ich werde es ihr beibringen müssen. Weil ich fest davon überzeugt bin, daß ihre Krankheit damit zusammenhängt.«
Der Konsul zog seine Augenbrauen in die Höhe. »Wie können Sie sagen, daß ihre Krankheit mit einer Sache zusammenhängt, von der sie gar nichts weiß?«
»Ihre Frau«, sagte Normann, »hat einen untrüglichen Instinkt. Sie fühlt es, wenn ihr ein Verlust droht. Lange, bevor sie es weiß. Und sie hat große Angst davor. Entsetzliche Angst. Das kann man verstehen, wenn man ihre Kindheit kennt: Immer hat sie die Menschen, die sie liebte, verloren. Haben Sie noch nie gemerkt, wie sehr sie an Ihnen hängt, wie völlig sie Ihnen
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