Zum Glück Pauline - Roman
träumt. Die Übergänge waren fließend, die Grenzen verschwammen. Mit Sicherheit konnte ich im Nachhinein lediglich sagen: Ich hatte von einer Frau geträumt. Aber schwer zu sagen, von welcher. Ihr Gesicht kam mir immerhin bekannt vor. Aber vielleicht war es auch nur eine Schauspielerin gewesen, die mir gefallen hatte, oder eine Unbekannte, die ich auf der Straße gesehen hatte. Oder eben eine skurrile Mischung aus verschiedenen Frauen. Der Traum hatte keine besondere Handlung. Die Frau saß neben mir und nahm mich bei der Hand. Und ich spürte eine unglaubliche Ruhe in mir.
Nach dem Erwachen lag ich vollkommen erfüllt von meinem Glück eine Weile da, bedauerte lediglich, dass es nichtreal war. Man sollte nicht so schöne Sachen träumen. Ich versuchte, das Gesicht dieser Frau zu rekonstruieren, wollte das Rätsel der Erscheinung lösen. Im weiteren Verlauf der Nacht kam Alice zu mir herein:
«Schläfst du?», flüsterte sie.
«Nein.»
«Kann ich auch hier schlafen? Ich leg mich auf den Boden …»
«Ist’s nicht bequem auf dem Sofa? Wälzt dein Bruder sich hin und her?»
«Nein, das Problem ist sein Mitbewohner, der andere Psychopath. Er macht die ganze Zeit die Tür auf und zu, ich glaube, er beobachtet mich.»
«…»
«Er macht mir Angst!»
Ich verkniff mir ein Lachen. Ich stellte mir vor, wie Hector seine Nacht damit verbrachte, immer wieder aufzustehen, um nach Alice zu sehen. Das war der Unterschied zu meinem Traum: Der seine war zum Greifen nah. Er lag im Zimmer nebenan, während der meine in unerreichbare Ferne rückte. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr schien es mir, als wäre ich dieser Frau bereits irgendwo begegnet. Aber wo? Manchmal sucht man nach Worten oder Namen und kommt einfach nicht drauf. Man sagt, die Dinge liegen einem auf der Zunge (ich mag diese Redensart). Das hieß, auf meiner Zunge lag ein Gesicht, das zu niemandem gehörte.
Wir verlebten zwei wundervolle Tage, gingen in den Parks, in denen ziemlich rote Eichhörnchen herumsprangen, spazieren, aßen unterwegs Hot Dogs und besuchten Galerien für zeitgenössische Kunst, in denen Installationen aufgebaut waren, die wir nicht verstanden. Wir hatten zu allem eine Meinung, zu allen wesentlichen und unwesentlichen Dingen. Wann hatte ich das letzte Mal so mit meinen Kindern geredet? Schade, dass wir so etwas nicht schon früher gemacht hatten. Warum war ich mit ihnen nie übers Wochenende nach Berlin oder Madrid gefahren? Was hatte mich davon abgehalten? Nichts. Aber ich hatte es eben aufgegeben, gemeinsame Aktivitäten zu planen. Früher war ich immer auf der Suche nach Theateraufführungen, Filmen und Ausstellungen gewesen, die ihnen gefallen könnten. Aber dann kam die Zeit, wo ich spürte, dass sie sich die Sachen lieber selber aussuchten. Vielleicht war das aber auch ein falscher Eindruck von mir gewesen. Ich hatte mich selbst dieser einfachen Freuden beraubt, weil ich glaubte, es gäbe sie sowieso nicht mehr. Und jetzt unternahmen wir fast staunend wieder etwas zusammen, als wäre es normal, nichts zusammen zu unternehmen. Ich konnte mit ihnen sogar über ihre Mutter sprechen. Die Trennung schmerzte sie mehr, als ich gedacht hatte. In gewisser Weise war ich erleichtert. Ich ertrug die allgemeine Gleichgültigkeit nicht mehr, die unsere Zeit zu charakterisieren schien. Den Leuten kam immer alles ganz normal vor: ob man nun glücklich oder zu Tode betrübt war. Wir waren so abgestumpft, dass ein kleines persönliches Drama kaum noch Aufsehen zu erregen vermochte. Meine Kinder waren traurig,und vor allem verstanden sie nicht, warum wir uns getrennt hatten. Ich sagte: Ich auch nicht. Und das entsprach durchaus der Wahrheit. Es gibt auch grundlose Trennungen.
Seit unserer Ankunft hatte ich keine Gelegenheit ausgelassen, über Amerika herzuziehen. Und jedes Mal, wenn ich mich erinnerte, dass ich ja keine Gelegenheit auslassen wollte, ging die Leier von vorne los. Nicht wegen einer ablehnenden Haltung gegenüber den USA, vielmehr handelte es sich um den plumpen Versuch, meinem Sohn das Land zu verleiden, damit ihm bloß nicht einfiel, noch länger bleiben zu wollen. Am Flughafen meinte er jedoch zu mir:
«Du magst die USA, das sieht man dir an.»
«Ach ja?»
«Du kannst nichts Schlechtes über das Land sagen. Und wenn du doch was Schlechtes sagst, merkt man dir an, dass du es nicht so meinst.»
«Aber du willst jetzt nicht noch länger bleiben?»
«Nein, im Sommer komme ich zurück nach Frankreich. Allerdings
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