Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
ich seelenruhig spazieren. Die Schmerzen schienen mir erträglich. Immerhin hinderten sie mich nicht am Spazierengehen (ein Hexenschuss oder Bandscheibenvorfall war noch mal was anderes). Entlang der Seine blätterte ich in den Büchern der Bouquinisten. Die Namen der Autoren stiegen aus einer längst vergangenen Zeit auf. Lautréamont, Henri Michaux, Daniel Guérin. Ich kaufte mir ein paar Bücher, dazu einen Reiseführer über Sankt Petersburg. Der Gedanke an diese Reise begeisterte mich mehr und mehr. Abgesehen von den Ferien mit der Familie in Spanien und einigen Dienstreisen war ich in denletzten Jahren selten aus Frankreich herausgekommen. Im Sommer fuhren wir meist zu Élises Eltern in die Bretagne. Das war vor allem schön für die Kinder, die dort Freunde trafen, aber ich musste einsehen, dass es für solche Reisen mittlerweile keinen Anlass mehr gab. Unsere Kinder würden nie mehr mit uns wegfahren. Das war vorbei.
    Man konnte es nicht wirklich als emotionale Bindung bezeichnen, aber ich mochte die Eltern meiner Frau. Ich hatte immer von netten Schwiegereltern geträumt, bei denen ich endlich meine Gefühlswelt entfalten konnte. Da die Kommunikation mit meinen eigenen Eltern schwierig war, war ich froh, zu meinen Schwiegereltern eine Beziehung aufbauen zu dürfen. Doch diese Beziehung hatte sich im Laufe der Jahre nicht weiterentwickelt. Wir verharrten in einer eleganten, jedoch nicht exzessiven Herzlichkeit, einer Art Schweizer Wohlgefallen. Mir wurde eine gewisse Wertschätzung zuteil, nicht mehr und nicht weniger. Ich sehnte mich nach ein bisschen mehr Wärme, doch alle Worte und Taten blieben reserviert. Das heißt, das war meine Sicht der Dinge. Élise sagte immer wieder: «Meine Eltern lieben dich so, wie sie mich lieben.» Ich hatte mich wahnsinnig verausgabt, um einen perfekten Schwiegersohn abzugeben. So sehr, dass es wohl ein wenig lächerlich wirkte, denn einmal hat meine Schwiegermutter zu meiner Frau gesagt: «Ich glaube, dein Mann hat als Kind nicht genügend Zuwendung bekommen.» Ich suchte etwas, das überhaupt nicht da war. Man stillt nie seinen Nachholbedarf an Liebe.
    Wie alle Frauen, die ich in meinem Leben geliebt habe, hing Élise sehr an ihrem Vater. Also, ich rede da von allen Frauen, aber im Grunde hatte es vor Élise nur eine einzige gegeben, die vielleicht erwähnenswert ist. * Im Vater sah ich keinen Rivalen, sondern die wichtigste männliche Bezugsperson, was mir oft half, die Frauen zu verstehen. Élises Vater war eine beeindruckende Persönlichkeit. Ein kräftiger Mann mit großer Ausstrahlung und viel Sinn für Humor. Er war Professor für Geschichte an der Universität Rennes und hatte zahlreiche wissenschaftliche Studien veröffentlicht und herausgegeben (er hatte auch mit Milan Kundera zu tun gehabt). Wenn ich jetzt daran zurückdenke, würde ich fast sagen, als ich Élises Vater kennenlernte, habe ich aufgehört, davon zu träumen, diesen historischen Roman zu schreiben, der jahrelang in meinem Kopf herumspukte. Ich hätte das Urteil dieses Mannes, der mir so viel Respekt einflößte, nicht ertragen. Er schien mich zu mögen. Und ich war bestrebt, mein Sympathiekapital nicht aufs Spiel zu setzen. Also lehnte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster und verbot mir bei den sonntäglichen Mahlzeiten im Kreise der Familie jedwede polemische Bemerkung. Wenn er sich nach meiner Meinung zu diesem oder jenem Thema erkundigte («Und Sie? Was halten Sie davon?»), vertrat ich immer eine Ansicht, die leicht von der seinen abwich, um so die Autonomie und Regsamkeit meines Geistes unter Beweis zu stellen, wobei ich ihm aber stets im Kern zustimmte, umseine dominante Stellung nicht zu erschüttern. Auf dieser ausgeklügelten Mischung aus Arschkriecherei und persönlicher Meinungsäußerung beruhte der Familienfrieden. Eine Mischung, die auch das Verhältnis zu meiner Frau erleichterte, die mit ihrem Vater prinzipiell einer Meinung war.
    Ungeduldig hatte er der Rente entgegengefiebert, um sich endlich seinem Hauptwerk, einer Abhandlung über den Prager Frühling, widmen zu können. Über Jahre hinweg hatte er unzählige Dokumente gesammelt, die die Vorbereitungen des russischen Einmarschs betrafen. Ich erinnere mich, mit seinem kleinen Köfferchen und einem hämischen Grinsen im Gesicht, in dem sich bereits die Freude über den unvermeidlichen Siegeszug seines Buches widerspiegelte, fuhr er oft in die damalige CSSR. Zu seiner Emeritierung feierten wir in dem Haus in der Bretagne ein

Weitere Kostenlose Bücher