Zum Glück Pauline - Roman
ziemlich häufig gemacht wird.»
«Er muss irgendwas gesehen haben, was nicht in Ordnung ist, sonst hätte er mir diese Kernspintomographie doch nicht verschrieben.»
«Aber das hilft jetzt nichts, sich groß Sorgen zu machen. Tut dir der Rücken immer noch weh?»
«Ja, es sticht immer so.»
«Du könntest dich akupunktieren lassen. Ich glaube, das wirkt.»
«Oh nein … lieber sterben, bevor ich mich mit diesen Nadeln malträtieren lasse.»
«Dann geh zum Osteopathen. Ich kenne da einen, einen guten.»
«…»
«Na, jetzt mach nicht so ein Gesicht. Morgen ist dieser Termin, und dann hast du’s hinter dir. Weißt du, manchmal wollen die Leute auch einfach bloß Geld verdienen … dann verschreiben sie irgendwelche Behandlungen … das steigert den Umsatz …»
«…»
«Ich sollte dir das eigentlich nicht erzählen, aber ich mach das auch manchmal … wie soll ich sagen … dass ich Patienten zum Röntgen schicke … obwohl ich weiß, dass sie überhaupt nichts haben … die Medizin ist eben ein Geschäft wie jedes andere auch …»
«Glaubst du, er hat die Kernspintomographie deswegen angeordnet? Das ist ja widerlich, so mit der Angst der Leute zu spielen.»
«Ich weiß es nicht, aber kann sein.»
«Na ja, zum Glück hab ich einen breiten Rücken», sagte ich so dahin, dass mir das eigene Wortspiel gar nicht auffiel. Édouard brach in ein etwas übertriebenes Gelächter aus, wie jemand, der seine Besorgnis nicht zeigen will.
Beim Essen bemühte ich mich, auf andere Themen zu sprechen zu kommen, aber meine Gedanken blieben bei der Kernspintomographie. Teilnahmslos redete ich von Gott und der Welt. Édouard wollte unbedingt, dass ich ein Dessert bestelle, und so fand ich mich mit einer Île flottante wieder, einer schwimmenden Insel, die der süße Spiegel meiner Seele war. Auf einmal rief Édouard aus:
«Weißt du, was eine gute Idee wäre?»
«Nein.»
«Wir sollten mal wieder übers Wochenende wegfahren. Ich meine, nur wir zwei. Ich müsste auch mal wieder so richtig ausspannen.»
«Ja, gute Idee.»
«Dann fahren wir nach Genf. Du magst doch die Schweiz, oder?»
«Ja, aber ich war jetzt schon so oft dort. Lieber woanders hin.»
«Dann nach Barcelona? Barcelona ist toll!»
«Aber wir waren erst letzten Sommer mit den Kindern in Spanien …»
«Ach ja, stimmt. Und wie wär’s mit Russland? Ein Wochenende in Sankt Petersburg? In Russland gibt’s die schönsten Mädchen auf der ganzen Welt …»
«…»
«Und wir könnten das Haus von Dostojewskij besuchen!»
Dieser Vorschlag überraschte mich. Es war Jahre her, dass Édouard und ich uns das letzte Mal über Literatur unterhalten hatten. Vielleicht ist das typisch für eine langjährige Freundschaft: Sie gründet sich auf den Mythos der Anfangsjahre. Dostojewskij erinnerte mich an die Zeit, als ich zwanzig war, an meine Vorliebe für dem Wahnsinn verfallene Russen und psychische Qualen. Wenn Édouard davon sprach, das Wohnhaus des großen russischen Schriftstellers zu besuchen, hinkte er der Zeit fast zwei Jahrzehnte hinterher. Eigentlich war das ganz rührend. Er hatte ein Bild vonmir, das mir sympathisch war. Von der Welt der Bücher hatte ich mich ja so weit entfernt. Seit Monaten hatte ich nicht mehr gelesen. Das letzte Buch, das ich mir gekauft hatte, war wahrscheinlich der jüngste Goncourt-Preisträger gewesen, aber ich war mir nicht mal sicher. Ich glaube, ich hatte es gekauft und dann keine Zeile gelesen. Alles erschien mir so verschwommen, die Bücher meiner Jugend dagegen sah ich vollkommen klar vor mir. Ich spürte den Atem von Raskolnikoff noch ganz an meinem Ohr. Unsere frühen Leidenschaften bleiben von der Zeit unberührt, auch wenn sie eigentlich längst verblasst sind.
Nach einem Moment des Zögerns fand ich die Idee klasse. Édouard hatte recht. Ich hatte mir in den vergangenen Jahren nicht ausreichend Vergnügungen gegönnt. Mit einem Freund irgendwo hinfahren, raus aus dem Trott, das war genau das Richtige. Ich sah wieder einen Lichtblick am Horizont, der mir Kraft gab, gegen meine Schmerzen anzukämpfen. Wir würden es uns gut gehen lassen, Wodka trinken, und bestimmt gab es dort auch italienische Restaurants.
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Intensität der Schmerzen: 7
Gemütslage: russisch
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Dieses Essen war mir richtig gut bekommen. Ich hatte nicht einmal von meinen beruflichen Problemen geredet. Ich brauchte ein bisschen Abstand. Alle dachten wahrscheinlich, dass ich zu niedergeschlagen war, um mich im Büro blicken zu lassen, dabei ging
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