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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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dieser Tag so lang vor, ich war erschöpft von meinen unterschiedlichen Gefühlslagen. Es waren so viele gewesen, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich hier überhauptmachte. In meinem Zustand war mir gar nicht aufgefallen, dass in der Zwischenzeit drei weitere Patienten im Wartezimmer Platz genommen hatten. Wo kamen die nun plötzlich her? Hoffentlich war der Arzt nicht wie so manche Fluggesellschaft ein Freund der Überbuchung. Ich wusste, eine Sitzung dauerte dreißig Minuten, Minimum. Dann würde ich hier ja noch zwei Stunden herumsitzen. Wenn das so war, wollte ich lieber nach Hause, baden und versuchen, ein bisschen zu schlafen.
    Nach ein paar Minuten begriff ich, dass es sich um eine Gemeinschaftspraxis handelte. Letztlich wurde ich ziemlich schnell aufgerufen. Mit seinem extrem breiten Lächeln erinnerte der Osteopath eher an einen Rechtsanwalt oder einen ungestümen Börsenspekulanten. Er sah wirklich nicht aus wie jemand, der mit seinen Händen arbeitete.
    «Sie sind der Bekannte von Édouard, stimmt’s?»
    «Ja.»
    «Édouard ist mein Zahnarzt. Ein ausgezeichneter Zahnarzt.»
    Ein Arzt, der zu einem anderen Arzt geht, ist immer eine komische Vorstellung. Wie ungeheuerlich: Ein Osteopath beim Zahnarzt. Doch auch ein Osteopath ist eben vor Zahnschmerzen nicht gefeit. Ein beherzter gedanklicher Exkurs, den ich mir gönnte, um vom eigentlichen Thema abzulenken. Aber jetzt war es endgültig so weit: Ich durfte mal wieder von meinem Rücken erzählen. Der Arzt hatte mich zum Glück überaus freundlich begrüßt. Ich war wahrscheinlich schon sein zwanzigster Patient heute, doch seinLächeln war immer noch von morgendlicher Frische. Jedes Detail der Praxiseinrichtung ließ darauf schließen, dass er seinen Beruf sehr liebte. Zum Beispiel der Rahmen, in dem er sein Diplom aufbewahrte. Nach dem hatte er lange gesucht, das konnte man förmlich riechen, das war kein Ikea-Rahmen. Er verkörperte den Typ Mann, bei dem man sich vorstellte, wie er zu seiner Frau sagte: «Mach dir keine Sorgen, Schatz, ich nehme die Sache in die Hand.» Er sagte gern solche Sachen, und man konnte sich
hundertprozentig
auf ihn verlassen. Am Abend bereitete sie ihm Kalbsfleisch bis zum Umfallen zu, in der Küche war ständig was am Köcheln. Nach dem Essen legte er sich aufs Kanapee und stöhnte: «Was für ein anstrengender Tag das heute wieder war …» Und dann massierte sie seine Schenkel und lud ihn zum Sex ein. Es machte mich rasend, dass er so ein tolles Leben hatte. Ich empfand es als Demütigung, so gebeugt vor diesem glücklichen Menschen stehen zu müssen, der sich vor mir auftürmte wie ein Jahrhundert.
    «Erzählen Sie mir alles.»
    «Ich hab seit ein paar Tagen starke Rückenschmerzen.»
    «Kommt das häufig vor bei Ihnen?»
    «Eigentlich nicht. Also, es ist das erste Mal, dass ich so starke Schmerzen habe.»
    «Haben Sie einen Schock erlitten, oder ist sonst irgendetwas Außergewöhnliches passiert?»
    «Nein, nichts. Am Sonntag hat es angefangen. Ich war schon beim Röntgen … und hab eine Kernspintomographie gemacht … aber da ist nichts dabei herausgekommen.»
    «Eine Kernspintomographie?»
    «Ja.»
    «Und?»
    «Scheint alles in Ordnung zu sein.»
    «Sind Sie von besonders ängstlicher Natur?»
    «Nein, nicht übermäßig.»
    «…»
    «…»
    «Kommt Ihnen das komisch vor, dass man mich zur Kernspintomographie geschickt hat?»
    «Nein, gar nicht», meinte er und schaute mich dabei etwas komisch an.
    Er bat mich, mich bis auf die Unterhose auszuziehen. Das war nun schon das zweite Mal heute, dass ich mich ausziehen musste. Und das zweite Mal vor einem Mann: Es wurde langsam unheimlich. Als ich mich anschickte, mich auf die Massagebank zu legen, war ich absolut schmerzfrei. Im Kontext der ärztlichen Sprechstunde hatten sich sämtliche Symptome wieder einmal in Luft aufgelöst. Als er allerdings anfing, mich abzutasten, stöhnte ich auf.
    «Sitzt der Schmerz hier?»
    «Ja.»
    «Verstehe. Das tut also richtig weh.»
    «Spüren Sie was?»
    «Ja. Und da? Tut’s da nicht weh?»
    «Nein, das geht … es ist wirklich die Stelle, wo Sie eben gedrückt haben.»
    «Erstaunlich.»
    «Wie bitte?»
    «Ach, nichts.»
    «Na doch … Sie haben gerade ‹erstaunlich› gesagt.»
    «Weil das eine Stelle ist, die an sich ganz gut geschützt ist. Weil so starke Verspannungen in diesem Bereich des Rückens eigentlich eher selten vorkommen. Sind Sie sich sicher, dass Sie keine falsche Bewegung gemacht haben?»
    «Das ist im Sitzen

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