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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Arbeitslosigkeit verbarg sich mein fügsamer Charakter. Ich nahm die Demütigung hin, weil ich lethargisch und mutlos war. Was hatte ich denn groß zu verlieren? Arbeit würde ich schon wieder finden, da war ich mir fast sicher. Senior-Kompetenzen standen in meiner Branche hoch im Kurs. Warum also scheute ich die Auseinandersetzung? Und wenn ich nicht gleich eine Stelle fand, könnte ich mich auch als selbstständiger Berater versuchen, oder irgendetwas anderes machen, um den Kredit zurückzuzahlen. Eigentlich hatte ich auch gar nicht so viele Ausgaben. Élise verdiente gut, und die Kinder fingen langsam an, auf eigenen Beinen zu stehen. Die finanziellen Verpflichtungen, die in meinem Kopf existierten, gab es inWirklichkeit gar nicht so. Ich benutzte die Angst, mir könnte das Geld ausgehen, als Alibi. Mein ganzes Leben gründete sich auf ein paar Lügen, die mich dazu verleiteten, ja nichts zu verändern. Man konnte auf mir herumtrampeln, mich lächerlich machen, ich fand immer Gründe, mich nicht von meinem schmalen Pfad abbringen zu lassen.
    Während ich also auf den Bus wartete, versuchte ich mir das neue Leben vorzustellen, das ich beginnen könnte. Als Erstes kam mir das Romanprojekt in den Sinn, das ich vor zwanzig Jahren fallengelassen hatte. Kann man Ideen so lange vor sich herschieben? Wahrscheinlich nicht. Sie lassen sich vielleicht ein bisschen vor sich herschieben, aber irgendwann haben sie genug und suchen sich einen gastlicheren Wirt. Meine Fragmente moderten wohl noch in einer staubigen Schublade vor sich hin. Nie zuvor hatte ich diese Möglichkeit ins Auge gefasst. Alles hinwerfen und wieder mit dem Schreiben anfangen. Ich wusste, ich wäre außerstande, eine solche Entscheidung zu treffen. Trotzdem spielte ich mit dem Gedanken, während ich in die Landschaft guckte. Die Gegend war so abgelegen, fernab von der Welt. Hier würde garantiert niemand kommen und etwas von mir wollen. Und dieses Nichts passte irgendwie zu mir. Im Grunde arbeitete ich ganz gern an einem Projekt, bei dem es um nichts ging. Das stand vielleicht besser mit meiner Persönlichkeit im Einklang. Ich hatte jahrelang genug Stress gehabt, um jetzt ein Projekt genießen zu können, wo es keinen Druck gab.

    Die Zeit verstrich, und auch das geschah langsamer als in einer Großstadt. Nach einer halben Stunde erspähte ich einen Punkt am Horizont. Anfangs war dieser Punkt winzig klein. Allmählich erkannte ich einen Mann auf einem Fahrrad. Einen Glatzkopf. Als er sich meinem Bushäuschen annäherte, bremste er etwas ab und schaute mich fasziniert an. Und als er meine Höhe erreicht hatte, stoppte er tatsächlich kurz ab:
    «…»
    «…»
    Dann setzte er seinen Weg in leichten Schlangenlinien fort. Mein Blick folgte ihm, bis er in einem nahegelegenen Wald verschwand.

    Mein Handy zeigte eine SMS von Édouard an. Ich war entzückt, dass ich hier Empfang hatte (die einfachen Freuden, denen ich frönte, schienen nicht abreißen zu wollen). Die moderne Technologie vermochte mich noch in Begeisterung zu versetzen. «Ich hab Billigflüge nach Sankt Petersburg. Pack deine Sachen, wir fliegen in 4 Tagen. Ich ruf dich heute Abend an wegen der Visa. Das wird super!» Ich war vollkommen perplex. Ich kannte Édouard schon lange, er war nicht der Typ, der überstürzt irgendwelche Entscheidungen fällte, er wog vielmehr hundertmal das Für und Wider ab, bevor er etwas unternahm. Er war, wie ich, allesandere als impulsiv. Dafür hatte er diesen Trip aber rasend schnell organisiert. Er musste in jeder kurzen Pause, die sich zwischen zwei Patienten ergeben hatte, im Internet recherchiert haben, umtriebig wie selten zuvor. Das merkte man auch daran, dass er das Wort «super» verwendet hatte – und sogar mit Ausrufezeichen. Das Ganze roch nach Regression, zurück zu den Wurzeln der Jugend. Mir graute natürlich vor dem Flug, den Besichtigungen, den endlosen Fußmärschen, aber ich sagte mir auch, dass mir die kleine Luftveränderung guttun würde. Ja, es würde gut werden. Ich wollte gleich los. Ich sah das Licht am Ende des Tunnels. Doch während ich dem ewigen Russland entgegenfieberte, hockte ich noch immer irgendwo im Nirgendwo. Ich war sogar bis in das Innerste von Nirgendwo vorgedrungen. Nirgendwo, das musste hier sein, das konnte nirgendwo anders sein. Ich kannte das Nichts in- und auswendig, ich konnte das alles genau zuordnen.
    Der Bus kam. Ich sah ihn schon von Weitem, doch bis er schließlich da war, vergingen noch ein paar Minuten. An dieser

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