Zum Glück Pauline - Roman
gehört, wie ich aufgestanden bin? Ich hab nämlich gemalt. Soll ich dir meine neuesten Bilder zeigen?» Und so weiter. Sie dachte wohl, im Gespräch mit Leuten, denen es schlecht geht, darf unter keinen Umständen ein Schweigen aufkommen. Sie dürfen ja keinen eigenständigen Gedanken fassen, sonst blasen sie Trübsal. Es gelang mir mehr oder minder, auf ihre Fragen einzugehen. Die schnelle Abfolge ihrer Fragen führte zu einigen Verschiebungen, so dass ich, glaube ich, auf die Frage, ob ich heute meine Frau treffen würde, antwortete: «Kaffee … mit ein bisschen Milch drin.»
Was mich fürs Erste doch angenehm überraschte, war: Mein Rücken tat gar nicht so weh. Die Schmerzen waren zwar immer noch da, aber in einem Maß, das mich zuversichtlich stimmte. Vielleicht war das diesem Bett zu verdanken. In dem Moment kam Édouard ins Zimmer:
«Das ist ein gutes Bett», lobte ich.
«Ah, das wundert mich nicht, das ist schwedische Spitzenqualität.»
«So was bräuchte ich vielleicht auch bei mir zu Hause.»
«Ja sowieso. Die Matratze ist aus gepressten Bambusfasern und beidseitig mit Molton beschichtet …»
Er schwärmte noch ein wenig von seiner Matratze, sichtlich stolz. Édouard und Sylvie hatten keine Kinder, daher entfachten sie mitunter bei den belanglosesten Themen eine Leidenschaft, dass man meinen konnte, es handle sich um die Heldentaten ihres Jüngsten. Tags darauf sollte ich übrigens wieder mit starken Schmerzen aufwachen und begreifen, dass es die Wundermatratze auch nicht gab. Aber ich sagte nichts zu Édouard, um sein materielles Glück nicht zu schmälern. Es rührte mich, wie meine Freunde sich bemühten, mir zu helfen, eine schwierige Phase durchzustehen. Sie freuten sich, dass ich zu ihnen gekommen war, und ich hatte an diesem Morgen den Eindruck, es tat ihnen gut, sich für eine gemeinsame Sache zusammenzufinden. Mein Leid schweißte sie so eng zusammen wie selten zuvor. Fast war ich versucht zu denken, ein depressiver Freund ist das beste Mittel, um die ehelichen Bande zu stärken.
Ihr Verhalten verschleierte auch nicht ihre Besorgnis. Und dazu gab es ja allen Anlass. Ich hatte meine Lage geschildert, die sämtliche Züge eines kompletten Desasters trug. Aber ich empfand es gar nicht so. Ich hatte keine Panik und fühlte mich für die kommenden Tage gewappnet. Meine neue Selbstsicherheit hing bestimmt damit zusammen, dassich Gaillard in meinem kleinen Anfall ordentlich eingeschenkt hatte. Das hatte mich von einer immensen Last befreit. Wie oft hatte ich mich – ohne es mir selbst einzugestehen – danach gesehnt, alles hinzuschmeißen. Endlich hatte ich es getan. Wenn ich zu einem solchen Akt imstande war, würde mich nichts mehr aufhalten können. Das war natürlich eine Illusion, der ich mich hingab.
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Intensität der Schmerzen: 5
Gemütslage: annehmbar
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Wenige Stunden später saß ich in den Räumlichkeiten von Max-Bacon dem Psychoanalytiker gegenüber. Unser Gespräch war also der kündigungstechnische Prolog. Auf einmal war ich eine befragungswürdige Person. Ich konnte mir gut vorstellen, welch diebisches Vergnügen Psychopathen empfinden mussten, wenn sie so analysiert wurden. Auf die Frage «Bereuen Sie Ihre gestrige Tat?» antwortete ich wie aus der Pistole geschossen: «Nein.» Der vielleicht40-jährige Mann blickte mich forschend an und konnte seine Verwunderung kaum verhehlen. Wahrscheinlich spielte man ihm ständig irgendwelche Reueszenen vor, in der Hoffnung, eine möglichst hohe Abfindung zu kassieren. In recht freundlichem Ton versuchte er zu verhindern, dass ich mich hier um Kopf und Kragen redete, und formulierte seine Frage anders:
«Würden Sie sagen, dass Sie gestern im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte waren?»
«Ja.»
«Waren Sie zum Zeitpunkt der Tat voll zurechnungsfähig?»
«Mehr denn je.»
«Hören Sie, Monsieur, ich will Ihnen nichts vormachen. Sie scheinen bei Ihrem Arbeitgeber eine gewisse Wertschätzung zu genießen, und ich glaube, er möchte Ihnen gern mildernde Umstände zubilligen, damit Ihnen wenigstens noch ein paar Zahlungen zufließen, wenn Sie schon wegen schweren persönlichen Fehlverhaltens entlassen werden.»
«Nett von ihm.»
«Sind Sie vermögend?»
«Wie bitte?»
«Haben Sie keine Geldsorgen?»
«Doch, natürlich hab ich die.»
«Warum strengen Sie sich dann nicht ein bisschen an?»
«Ich strenge mich doch an! Ich versuche, auf Ihre Fragen wahrheitsgemäß zu antworten. Etwa auf die, wie es mir ging, nachdem ich den
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