Zum Glück Pauline - Roman
damit:
«Hör zu … wollen wir nicht lieber morgen darüber reden?»
«Nein … es gibt auch nichts groß zu reden …»
«…»
«Und ich fänd’s gut, wenn du heute irgendwo anders übernachten könntest. Ich will allein sein, bitte.»
«…»
«Bitte.»
«Das ist ganz normal, dass du ein bisschen allein sein willst … äh … aber glaubst du nicht, dass …»
«…»
Sie hörte mir überhaupt nicht zu und ging hinauf ins Schlafzimmer. Aber was gab es eigentlich noch zu reden? Ich kannte Élise lange genug, um zu wissen, dass sie so etwas nicht einfach dahinsagte. Es kam natürlich recht impulsiv daher, aber ich hatte gleich gespürt, dass sie es ernst meinte. Ich spürte auch, dass es besser war, ihrer Bitte nachzukommen und zu gehen. Zum Reden war später noch Zeit. Erst einmal wollte sie allein sein. Das Bedürfnis, allein zu sein, gehört zu den Bedürfnissen, vor denen ich gehörigen Respekt habe. Also ging ich. Einfach so. Ich nahm nichts mit. Stahl mich wie ein Dieb aus meinem eigenen Leben fort.
Ich setzte mich ins Auto. Überlegte kurz, ob ich das Radio anmachen sollte. Schlechte Idee. Bestimmte Momente vertragen keinen anderen Soundtrack als die Stille. Wo sollte ich jetzt hin? Ich betrachtete einen Augenblick die Rückbank: Ich könnte ja hier schlafen. Wie in der Reportage, die ich vor nicht allzu langer Zeit im Fernsehen gesehen hatte.Da war es um Leute gegangen, die alles verloren hatten und am Ende in ihrem Auto schliefen. Manche hatten sogar noch Arbeit, aber die Mieten waren zu teuer geworden. Die soziale Verelendung lag zum Greifen nahe. In wenigen Tagen konnte ein Leben aus den Fugen geraten. Sah man auf der Straße einen Obdachlosen, fragte man sich gar nicht mehr, was er angerichtet hatte, um dahin zu gelangen. Der gesellschaftliche Abstieg war ein Teil von uns geworden. Wir wandelten stetig am Rande des Abgrunds, zum Hinunterfallen gehörte nicht viel dazu.
Ins Hotel gehen, war noch eine Möglichkeit. Ich konnte mir einen anonymen Ort in den Außenbezirken suchen. Wo ich dann mit hemdsärmeligen Handlungsreisenden zu Abend essen würde. Wo alle still und leise ihr Komplettmenü verzehrten. Wo mir niemand irgendwelche Fragen stellen würde. Aber darauf hatte ich keine Lust. Ich wollte unter Freunden sein. Die Ereignisse des Tages waren zu verwickelt gewesen, um ihn in Einsamkeit zu beenden. Ich fuhr los und kutschierte im Schneckentempo durch die Nacht. Ich hatte Angst, einen Unfall zu bauen. Es gibt Tage, an denen das Bett der einzige Ort ist, an dem man sicher ist. Und ich hatte das Gefühl, solange ich nicht da drin lag, konnten jederzeit jede Menge Katastrophen über mich hereinbrechen. An jeder Kreuzung gab ich gut acht. Mein Fahrstil war der eines Anfängers, und er kam mir ziemlich symbolisch vor. Zu meiner Verwunderung fand ich schnell einen Parkplatz. Ich hatte schon befürchtet, wenn die Dinge weiter der Logik dieses Tages folgten, würde ich bestimmt stundenlang imKreis fahren. Als ich vor der Wohnungstür stand, hielt ich einen Moment inne. Ich hatte nicht einmal Bescheid gegeben, dass ich kommen würde. Was sollte ich überhaupt sagen? Vielleicht kam mein Besuch ungelegen?
Ich klopfte. Wenige Sekunden später öffnete Édouard die Tür. Er wirkte gar nicht überrascht. Man hätte meinen können, er habe da schon die ganze Zeit auf mich gewartet.
«Nanu, was machst du denn da?»
«Mir geht’s heut nicht so gut.»
«Oje! Aber es ist doch hoffentlich nichts Schlimmes passiert?»
«Nein … nichts Schlimmes … außer dass ich meinen Job verloren hab … Élise sich scheiden lassen will … und mein Rücken immer noch höllisch wehtut …»
«…»
«Kann ich heute bei euch übernachten?»
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Intensität der Schmerzen: 8
Gemütslage: unfähig, ein Adjektiv zu finden
,
das meine Gemütslage treffend beschreiben könnte
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Man konnte die Dinge nun nicht auf sich beruhen lassen, ich hatte zu viele Sensationen auf einmal verkündet. Sie wollten, dass ich erzählte. Wir setzten uns alle drei ins Wohnzimmer, und ich fragte mich, womit ich am besten beginnen sollte. Was war das Wichtigste? Die Liebe, die Arbeit oder die Gesundheit? Die drei großen Kategorien im Horoskop. Édouard, der meine Rückenprobleme von Anfang an mitbekommen hatte, machte sich Sorgen, weil mein Zustand sich nicht verbesserte. Ich war voll des Lobes für seinen Osteopathen (man kann Freunde genauso selten mit der Wahrheit konfrontieren wie irgendwelche andere Leute), vertrat jedoch die
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