Zum Glück Pauline - Roman
Ansicht, dass keine manuelle Anwendung der Welt, und sei sie auch noch so geschickt, mein Leiden beheben konnte. Nach dem neuesten Stand der Magnetfeldtherapie, stammelte ich, sei der nächste Gang der zum Psychoanalytiker. Sylvie hingegen interessierte sich überhaupt nicht für meinen Rücken. Sie wollte lieber wissen:
«Und was ist mit Élise? Was ist passiert?»
«Sie macht eine schwierige Phase durch … Der Tod ihres Vaters hat sie vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht …»
«Das kann ich schon verstehen … aber was hat das mit euch zu tun?»
«Sie stellt eben alles infrage. Ich glaube, das ist ganz normal. In ein paar Tagen hat sich das alles bestimmt wieder eingerenkt», sagte ich ohne die geringste Überzeugung. Aber mir war gar nicht so danach, allzu viel herum zu deuten. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus, heißt es immer. Nach dem Tag, den ich hinter mir hatte, ruhten darauf nun all meine Hoffnungen. Ich wollte nur noch die Augen vor diesem Tag verschließen. Es kam mir so vor, als hätte das Schicksal beschlossen, dass ich all die Prüfungen, die ich in meinen trägen Jahren versäumt hatte, nachholen müsste. Auf einmal musste all das geschehen, was ein nicht besonders aufregendes Leben lang nicht geschehen war. Der Wirbel der Ereignisse, dem ich schutzlos ausgeliefert war, schüttelte mich so heftig durch, dass ich zu keiner normalen Regung mehr imstande war. Was auch immer man mir jetzt noch verkünden mochte, ich würde ungerührt bleiben, die Erschütterungen, die ich nacheinander durchgemacht hatte, hatten meine Haut rau und fühllos gemacht. Ich wollte nur noch schlafen. Édouard und Sylvie begleiteten mich in mein Zimmer. Ich löste zwei Schmerztabletten auf und rührte auf Sylvies Initiative hin ein Schlafmittel mit ein. So schlief ich tief und fest, und das war gut so.
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir wieder einfiel, wo ich mich befand. Ich machte Licht und schaute mich im Zimmer um. Ein typisches Gästezimmer, diese seltsame Mischung aus Unpersönlichem und Gemütlichem. Der einzige Hinweis darauf, in wessen Haus man sich aufhielt, war: ein kleines Bücherregal,auf dem allerlei medizinische Fachbücher insbesondere zum Thema Zahnheilkunde standen. Ich wunderte mich, dass es dazu so viel Literatur gab. Das heißt, ich wunderte mich eigentlich weniger darüber, dass es sie gab, als darüber, dass jemand offensichtlich imstande war, sie auch noch zu lesen. Ich überlegte, ob ich aufstehen und eines dieser Bücher zur Hand nehmen sollte. Ich hatte Lust, mich mit irgendetwas zu beschäftigen, am besten mit etwas, das nichts mit meiner aktuellen Situation zu tun hatte. Letztlich entschied ich mich dafür, liegen zu bleiben, und gestand mir ein, dass ich Élise gegenüber zu nachgiebig gewesen war. Ich hatte ihrem Wunsch entsprechen und ihr ihren Seelenschmerz, von dem ich hoffte, dass er bald vorbeiging, zugestehen wollen, aber warum hatte ich mich gleich verdrückt, ohne ein Wort zu sagen? Vielleicht hätte ich mich lieber gegen ihren Willen auflehnen sollen? Ich hätte sagen können, dass eine Trennung oder Scheidung für mich nicht infrage kam, dass ich sie bedingungslos und unwiderruflich liebte. Wie viele Worte in mir schlummerten, die ich gar nicht benutzte, lauter Worte, mit denen man Zuneigung ausdrückte. Ich hatte mich auf den Respekt vor der Entscheidung des anderen berufen und ihren Beschluss akzeptiert. Aber allmählich merkte ich: Was ich respektvoll nannte, war eine wohlwollende Bezeichnung für feige. Ich hatte mich aus dem Staub gemacht, weil ich keinerlei Konfrontation ertrug. Ich wollte mit stummen zärtlichen Gesten umhegt werden. Élise sollte mich lieben und immer für mich da sein. In der Einsamkeit stellte ich mich der Wahrheit. Meine Kinder waren weit weg. Wie oft hatte ich sie in meine Arme schließenwollen, denn nur in den Armen der Kinder lassen sich alle Widrigkeiten vergessen. Wenn Schwierigkeiten auftreten, werden diese Umarmungen zur einzigen Bastion gegen die Wirklichkeit. Das waren meine leicht pathetischen Gedanken, in denen ich bei meinen Liebsten weilte, eine Flut der Gefühle, und die Nacht war noch lang.
Am frühen Morgen kam eine strahlende Sylvie herein und bestürmte mich mit Fragen: «Hast du gut geschlafen? Und was macht der Rücken, geht’s besser? Magst du zum Frühstück lieber Kaffee oder Tee? Was machst du denn heute? Du musst mit Élise sprechen, nicht wahr? Hast du mich heute Nacht
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