Zum Glück Pauline - Roman
doch erschreckend … aber es ist auch ein bisschen banal … man darf doch auch ganz banale Probleme haben, oder? … Na ja, und meine Tochter … das ist was anderes … fest steht, dass es mir schwerfällt, das alles so zu akzeptieren, wie es nun ist … das wirft sie mir übrigens auch vor … in ihrer neuen Wohnung hab ich sie immer noch nicht besucht … den Typen, mit dem sie zusammengezogen ist, hab ich erst einmal gesehen … ich frage mich, warum ich mich so schlecht auf neue Situationen einstellen kann … bestimmt hat es mir an Zuwendung gefehlt, nicht wahr?»
«…»
«Sie sagen ja gar nichts. Ich kann noch mehr Dinge aufzählen, die mich belasten: meine Angst vor Krankheiten und vor dem Altern, die Steuern, die Nachbarn, der Lärm überall, die Aggressivität der Leute, diese Sängerinnen, die immer so herumschreien, und diese Komödien, die überhaupt nicht lustig sind, die Leute, die beim Radio anrufen und dort ihre Kommentare zu allem möglichen abgeben, die Unzuverlässigkeit der Jahreszeiten und Zahnärzte … also manchmal berechnen die irgendwelche Leistungen, wo man sich echt fragt, wie sie die aus dem Hut gezaubert haben.»
«…»
«Wenn Sie wüssten, wie ich Zahnärzte hasse … und dabei ist mein bester Freund Zahnarzt, das sagt doch vielüber mein Leben aus … na ja, das sind die Sachen, die mir gerade so einfallen … bestimmt gäb’s noch mehr.»
«Okay … okay. Wir nähern uns dem Ende der Sitzung.»
«Schon vorbei?»
«Ja.»
«Und was meinen Sie jetzt dazu?»
«Die Sitzung ist zu Ende.»
«Aha … aha … das heißt, ich darf wieder aufstehen?»
«Ja, dürfen Sie.»
«Na ja, jedenfalls … vielen Dank, Herr Doktor. Vielen Dank für alles … das war eine totale Erleichterung für mich, über all diese Dinge reden zu können.»
«…»
«Sie sind ein hervorragender Arzt.»
Meine letzte Bemerkung schien ihn zu verwirren. Wahrscheinlich machte man ihm nicht oft solche Komplimente. Er wollte einen neuen Termin vereinbaren, aber ich sagte, dass ich meinen Kalender nicht dabei hätte. Eine lächerliche Ausrede, aber ich hatte den Eindruck, er nahm sie mir ab. Ich hatte einfach keine Lust, gleich einen neuen Termin auszumachen. Das war erst mal genug, das meiste, was sich über Monate hinweg in mir angestaut hatte, war bereits entwichen. Und das Wichtigste hatte er ja schon gesagt: Ich musste den Knoten in mir lösen. Wenn ich meine Probleme in den Griff kriegen würde, würde es mir auch wieder besser gehen. Ich zögerte keine Sekunde, mir war klar, wo ich den Hebel ansetzen musste: bei meinen Eltern.
* Man denke nur an Zinedine Zidane im Finale der Fußballweltmeisterschaft 2006.
2
Intensität der Schmerzen: 1
Gemütslage: kampfbereit
3
Das Couscous-Essen war nur so eine Art Ouvertüre gewesen. Meine Eltern wirkten gar nicht groß verwundert, als ich unerwartet aufkreuzte. Wahrscheinlich dachten sie sich schon, dass die seltsamen Auswüchse meines Verhaltens eine Fortsetzung finden würden. Mein Vater warf meiner Mutter sogar einen Blick zu, der so viel zu heißen schien wie: «Schau, hab ich’s dir doch gesagt.» Auf
unerwartetes Aufkreuzen
stand laut Familienstrafgesetzbuch eigentlich lebenslänglich. Demzufolge kreuzte auch nie jemand unerwartet auf. Man musste unbedingt vorher Bescheid sagen. Am besten mehrere Tage vorher: Keine Liebe ohne Zeitplan.
Normalerweise trat ich als Angestellter mit Krawatte auf. Aber nun trug ich keinen Anzug, zudem war es mitten am Tag und mitten unter der Woche. Nichts, was auf mein bisheriges Leben schließen ließ.
«Ach, du bist’s …», begrüßte mich meine Mutter.
«Ja. Ich bin’s.»
«Und was macht dein Rücken? Geht’s ihm besser?», wollte mein Vater gleich wissen.
Die Art der Gesprächseröffnung überraschte mich. Mein Vater erinnerte sich an etwas, das mich betraf. Ich meine, natürlich konnte er sich immer gut erinnern, wenn ich irgendwo versagt hatte. Und es gehörte zu seinen Spezialitäten, genau in den Momenten etwas von mir wissen zu wollen, in denen ich nichts mehr von ihm wissen wollte. Sein emotionales Timing war sensationell. Mit solchen Leuten gelingt es einem nie zu brechen. Manchmal hat man es eben mit Elementen zu tun, die ihre Unerträglichkeit geschickt zu dosieren verstehen. Sie schaffen es, nie eine gewisse Toleranzgrenze zu überschreiten. Mein Vater war ein Meister in der Kunst, meine Wut genau im richtigen Augenblick zu dämpfen, um eine Konfrontation zu vermeiden. In anderen Worten,
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