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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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menschlichen Logik. Was hatte ich nicht alles versucht, um ein normales Verhältnis zu ihnen aufzubauen, oder um irgendwie darauf hinzuwirken, dass sich ihre Einstellung mir gegenüber änderte. Mit den Worten meiner Mutter war eine Schlacht geschlagen, die ich mir seit meiner frühesten Kindheit geliefert hatte. Die Schlacht um den Versuch, meine Eltern zu verstehen. Ich sah nun ein: Sie hatten sie nicht mehr alle, und sie würden sich nie ändern. Man kann seine Familie nicht erziehen, so nervenzerfetzend, ungerecht und unerträglich sie auch sein mag.
    Ich war wie gelähmt. In anderen Augenblicken hätte ich jetzt vielleicht angefangen zu lachen. Aber das ging gerade nicht. Wir starrten uns stumm an, bis meine Mutter das Schweigen brach:
    «Ich hoffe, es hat dir gutgetan, das auszusprechen, was dich bedrückt hat. Das hängt sicherlich alles mit deinem Rücken zusammen. Du behältst die Sachen zu oft für dich, mein Schatz. Du solltest mit allen Leuten reden, mit denen du irgendwie Probleme hast und die Dinge ins Reine bringen …»
    «Deine Mutter hat recht. Im Leben muss man manchmal reden.»
    «…»
    «Schau, wir zum Beispiel haben zehn Jahre lang eine Paartherapie gemacht», ergänzte mein Vater. «Und deswegen funktioniert’s jetzt auch wieder bei uns. Wenn du unsdas früher gesagt hättest, dass es zwischen Élise und dir nicht mehr so gut läuft, hätten wir dir die Nummer von unserem Therapeuten gegeben …»
    «Ihr … ihr habt eine Paartherapie gemacht? Ist das euer Ernst?»
    «Na klar … und das haut ausgezeichnet hin … deine Mutter und ich, wir lieben uns, da kannst du sagen, was du willst … das Allerwichtigste für uns ist unsere Beziehung …»
    «Oh …», seufzte meine Mutter gerührt.
    Meine Eltern küssten sich vor meinen großen Augen leidenschaftlich auf den Mund. Ganz neue Sitten. Sie überraschten mich einmal mehr. Ihr Kuss dauerte ein Weilchen, und sie machten einen glückseligen Eindruck. Das Einzige, was ich der Szene abgewinnen konnte, war: Ich war die Frucht ihrer Liebe, eine Trockenfrucht zwar, oder eine Frucht, die allmählich etwas faulig wurde, aber immerhin eine Frucht. Ihr Kuss, den ich immer noch mit ansah, nahm langsam surreale Gestalt an. Es gibt keine Worte für das, was in mir vorging. Das Gefühlschaos riss meine Sinneszellen in Stücke und setzte sie irgendwie anders wieder zusammen. Jetzt schauten meine Eltern mich an und lächelten. Ich stand auf und ging, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich hatte soeben einen der merkwürdigsten Augenblicke meines Lebens erlebt. Aber letztlich war das doch wieder einmal ziemlich bezeichnend: Ich wollte ans Licht und fand mich im Nebel wieder.

4
    Intensität der Schmerzen: 5

Gemütslage: ungeordnet

5
    Der Besuch bei meinen Eltern hatte mir keine Klarheit verschafft. Im Gegenteil, ich war so durcheinander wie nie zuvor. Das einzig Positive war, ich fühlte mich bereit zu akzeptieren, dass ich sie eben nicht verstand. Sie waren wie zwei Außerirdische, und vielleicht war mein Bedürfnis nach Beständigkeit ja aus ihrer emotionalen Unbeständigkeit erwachsen. Ich hatte brav studiert, früh geheiratet und eine ordentliche Familie gegründet. Allmählich merkte ich, dass mein Antrieb gewesen war, ein Leben auf vernünftig-pragmatischen Pfeilern zu gründen. Was an meinen Eltern krankhaft war, war schwer zu erkennen und vor allen Dingen schwer zu fassen. Ich musste sie nehmen, wie sie waren, und vielleicht würde ich einmal über ihren sonderbaren und sanften Anflug von Wahnsinn lachen können? Ich hielt es für möglich, dass sich unser Verhältnis in Zukunft bessernkönnte. Das war sicherlich einer der wichtigsten Knotenpunkte, die ich lösen musste.
    Aber fürs Erste plagten mich weiter Rückenschmerzen. Als ich von meinen Eltern aufbrach, waren sie ausgesprochen heftig. Die Spannung, die ich während des Gesprächs aufgebaut hatte, entlud sich in fürchterlichen Krämpfen. Damit hatte ich nun nicht gerechnet, dass die Geißel mit solcher Macht zurückkommen könnte. Nach kurzer Zeit verlor ich den Boden unter den Füßen. Ich versuchte, mich irgendwo festzuhalten, um nicht hinzufallen. Zum Glück stand da eine Straßenlaterne. Mein Blick war getrübt, doch ich bildete mir ein, schemenhaft eine Gestalt erkennen zu können. Ich wollte den Arm ausstrecken, was mich vor große Schwierigkeiten stellte, denn die Bewegung kostete mich unglaubliche Anstrengung. Niemand eilte mir zu Hilfe, die Gestalt, die ich verschwommen sah, existierte

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