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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und sagte:
    «Jetzt haben Sie sich also einen Ruck gegeben und sind uns besuchen gekommen. Das ist ja eine nette Überraschung. Wollen Sie einen Kaffee?»
    «Äh … ja», stammelte ich.
    Wenige Minuten später saßen wir alle drei um den kleinen Küchentisch herum. Auf dem ein Wachstuch ausgebreitetlag. Ich muss das erwähnen, ich liebe nämlich Wachstücher. Sie machen mich ganz nostalgisch, denn sie erinnern mich an meine Kindheit und an glückliche Tage bei meinen Großeltern. Manchmal schließt man einen Ort aufgrund eines einzigen Details ins Herz. Als ich das Wachstuch sah, fühlte ich mich gleich wohl in der Wohnung. Niemand hatte mehr ein Wachstuch. Die jungen Leute wissen wahrscheinlich nicht einmal mehr, was das ist. Ich weiß auch nicht, welchen Narren ich an diesem Wachstuch gefressen hatte. Ich dachte mir, wer so ein Wachstuch hat, lebt bestimmt glücklich. Das Wachstuch verkörperte für mich dauerhafte Zufriedenheit, es knüpfte irgendwie an eine Vergangenheit an, in der alles einfacher war. Man bekam gleich Lust, das Transistorradio anzuschalten und einen Zitronensaft zu trinken. Den Kaffee aus diesen kleinen Tassen zu schlürfen, wo auf dem Boden eine Zahl stand. Dem Wachstuch entnahm ich, dass die beiden ein Herz und eine Seele waren. Darüber hinaus sind Wachstuchbesitzer tolerante Leute. Von einem unerwarteten nächtlichen Besucher lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Michel kochte Kaffee, und man mochte kaum glauben, dass es nach drei Uhr morgens war.
    Die Geräusche der Stadt waren verstummt. Andere Familienväter schliefen friedlich. Wir saßen schweigend da und lauschten dem Brummen der Kaffeemaschine. Man muss immer den richtigen Zeitpunkt abwarten können. Ich hatte lange gebraucht, bis ich mich hierhergewagt hatte, und nun hatte ich mir diese Nacht ausgesucht. Immer noch saßen wir da und sprachen kein Wort. Ich schaute mich um und warvon vielen Dingen umringt, die mir gefielen. Am Kühlschrank hing zum Beispiel ein Abreißkalender, wo es zu jedem Tag einen Spruch gab. Der Spruch des heutigen Tages lautete: «Du hast keine Chance – nutze sie.» Oder so ähnlich. Das war von Schopenhauer. Der Kalender versammelte die niederschmetterndsten Sprüche, die man sich nur vorstellen konnte. Es gab Aphorismen von Cioran * und allerlei anderen Pessimisten. Eine prima Idee, fand ich, viel origineller als all die anderen Sprüchekalender, in denen meist nur abgedroschene Lebensweisheiten wiedergegeben werden. Es ist doch nichts deprimierender als diese aufmunternden Gedanken. Wer sich dagegen jeden Morgen erst mal ein trostloses Zitat zu Gemüte führt, das einem vor Augen hält, wie schlecht es bestellt ist um die Welt, beweist wenigstens Humor.
    Es ist so aufregend, mit einer geliebten Person zusammenzuziehen. Ich erinnerte mich an die erste Zeit mit Élise. Mit Kindern kann man alles, was man irgendwann einmal erfahren hat, noch einmal durchleben. Anfangs hatte mich der Gedanke, Alice könnte nun die Zeit genießen, die ich vielleicht als die schönste meines Lebens bezeichnen würde, wohl etwas erschreckt: Verliebtsein und Unabhängigkeit von den Eltern. Nun saß sie da und lächelte mich an. Michelwirkte weder verärgert über die nächtliche Ruhestörung, noch schien er mir böse zu sein, weil ich ihn unzählige Male übergangen hatte. Das machte die Sache noch peinlicher für mich. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, was ich ihn alles fragen würde, wenn ich ihm einmal gegenübersitzen würde. Wer meiner Tochter wert sein wollte, musste schon einen makellosen Lebenslauf vorlegen können. Ich brauchte Informationen über sein bisheriges Liebesleben, seine Lieblingsfilme und -bücher (nach meiner Theorie konnte man aus dem Geschmack einer Person ihren Charakter ableiten) sowie darüber, was für ein Verhältnis er zu seiner Familie unterhielt. Ich würde die Karikatur des unausstehlichen Familienoberhaupts abgeben. Doch langsam wurde mir klar, wie lächerlich das alles war. Ich sagte am besten gar nichts und blieb einfach nur ruhig sitzen.
    Nachdem wir unseren Kaffee ausgetrunken hatten, standen wir auf. Sie zeigten mir ihre Wohnung. Gähnend schwankten wir durch das Halbdunkel. Wie eine kleine Schlafwandlerfamilie. Ich wollte nicht länger stören. Zum Abschied gab ich Michel die Hand. Er sagte: «Danke, dass Sie gekommen sind.» Höflich ist er also auch noch, dachte ich mir. Ich hatte ihn um seine Nachtruhe gebracht. Am nächsten Tag würde er wie ein Wrack in der Arbeit sitzen, aber

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