Zum Heiraten verfuehrt
Rubys Vorschlag ablehnte, würde er möglicherweise das Nachsehen haben. Falls sie es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen ließ, war nicht auszuschließen, dass ihm irgendein ausgekochter Anwalt einen Strick daraus drehte. Und ihre Sturheit und ihr Versuch, an sein Geld zu kommen, hatten seine Entschlossenheit, seine Söhne zu sich zu nehmen, noch verstärkt. Selbst wenn das bedeutete, dass er nur mit Umwegen ans Ziel kam. Doch sobald sich die Zwillinge auf der Insel befanden, war er als ihr Vater rechtlich im Vorteil.
Als Ruby draußen ein Auto vorfahren hörte, fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Die Zwillinge! Sie ließ Sander stehen und rannte zur Tür. Das konnte nur die Nachbarin sein, die abwechselnd mit ihr die Kinder von der Schule abholte. Ruby ging eilig nach draußen und half Freddie und Harry beim Aussteigen, indem sie ihre Schultaschen und Brotbüchsen an sich nahm. Dabei schnalzte sie vorwurfsvoll mit der Zunge, als sie sah, dass die beiden ihre Dufflecoats nicht zugeknöpft hatten, obwohl es immer noch März und bitterkalt war.
Die beiden Jungen, die sich – bis auf das kleine Muttermal hinter Freddies Ohr – wie ein Ei dem anderen glichen, schauten mit großen Augen auf die Luxuslimousine, die in ihrer Einfahrt parkte, dann blickten sie Ruby an.
„Wem gehört denn das Auto?“, wollte Freddie neugierig wissen.
Ruby wusste beim besten Willen nicht, was sie sagen sollte. Wie hatte sie bloß so die Zeit vergessen können? Sie hätte unter allen Umständen versuchen müssen, Sander loszuwerden, bevor die Zwillinge nach Hause kamen. Jetzt würden sie Fragen stellen, die sie nicht ehrlich beantworten konnte, und sie hasste den Gedanken, ihre Kinder zu belügen.
Freddie schaute sie immer noch erwartungsvoll an, bis Ruby mit einem gezwungenen Lächeln sagte: „Es gehört … jemandem. Kommt jetzt rein, sonst holt ihr euch noch einen Schnupfen mit euren offenen Mänteln.“
„Ich hab Hunger. Kann ich Toast mit Erdnussbutter haben?“, fragte Harry hoffnungsvoll.
Toast mit Erdnussbutter war derzeit Harrys Lieblingsessen.
„Das sehen wir später“, sagte Ruby, während sie die Jungen sanft ins Haus schob. „Aber jetzt erst mal nach oben mit euch“, kommandierte sie und versuchte Ruhe zu bewahren, als sie sah, dass die Zwillinge völlig perplex Sander anstarrten, der fast den ganzen Vorraum einzunehmen schien.
Sander war ein hochgewachsener Mann, gut über eins neunzig. Unter anderen Umständen hätte es ihr ein Lächeln entlockt zu sehen, wie Harry mit zurückgelegtem Kopf zu ihm aufschaute. Im Vergleich dazu wirkte Freddie plötzlich wie der Mann im Haus und viel älter als sein Zwillingsbruder. Er kam instinktiv an ihre Seite, wie um sie zu beschützen, dann wechselten die beiden Brüder einen Blick, woraufhin Harry seinen Platz an ihrer anderen Seite einnahm.
Ruby stiegen Tränen in die Augen. Ihre geliebten Söhne. Das hatten sie nicht verdient, und es war ganz allein ihre Schuld, dass die Situation war wie sie war. Sie ging spontan in die Knie, umarmte ihre beiden Jungen und drückte sie ganz fest an sich. Freddie war der Empfindsamere von beiden, obwohl er alles tat, um es zu verbergen. Er presste sein Gesicht an ihren Hals, während Harry Sander weiterhin forschend musterte. Er erwog doch nicht etwa, zu ihm zu gehen? Am Ende erschien es ihm dann aber doch sicherer, an der Seite seiner Mutter zu bleiben.
Sander stand wie erstarrt da. Seine Söhne. Beim ersten Blick auf sie hatte er gewusst, dass es nichts, aber auch gar nichts gab, was er nicht für sie tun würde. Er würde sich das Herz aus der Brust reißen und es ihnen auf einem Silbertablett servieren, wenn man es von ihm verlangte. Er wurde von einer Woge der Liebe überschwemmt, die alle negativen Gefühle hinwegspülte. Das waren seine Kinder, sein eigen Fleisch und Blut, sie gehörten zu ihm. Gleichwohl ließ sich unmöglich übersehen, wie sehr sie ihre Mutter liebten. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass sie instinktiv versucht hatten, ihre Mutter zu beschützen. Als ihm das klar geworden war, war ihm das Herz weit geworden vor Stolz.
Eine alte Erinnerung erwachte. Die Sonne schien heiß auf seinen unbedeckten Kopf, während die scharfen Stimmen seiner Eltern an sein Ohr drangen. Auch er hatte sich an seine Mutter gepresst, aber da waren keine liebevollen mütterlichen Arme gewesen, die ihn umfingen. Stattdessen hatte seine Mutter auf dem Absatz kehrtgemacht, um mit schnellen Schritten zu ihrem Auto zu
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