Zum Heiraten verfuehrt
bedeutete. Er war fast explodiert vor Wut – Wut auf seinen Großvater und alle Menschen in seinem Leben, die das Vertrauen, das er ihnen entgegenbrachte, mit Verrat vergolten hatten. Es war wie ein Dammbruch gewesen, bei dem die Fluten über die Ufer getreten waren und alles unter sich begraben hatten.
Auch Ruby.
Ein einziger entschlossener Blick hatte ausgereicht, um sie an seine Seite zu holen. Sie hatte sich in dem überfüllten Club an ihn gedrückt, ihr Atem hatte nach Wodka gerochen, ihre Haut nach frischer Seife. Er erinnerte sich noch gut daran, dass ihn dieser Widerspruch irritiert hatte. Er hatte ihr einen Drink spendieren wollen, aber sie hatte den Kopf geschüttelt und ihn so sehnsüchtig angeschaut, dass er prompt noch wütender geworden war. Er war nicht umhin gekommen sich zu fragen, warum eine junge Frau wie sie meinte, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts ihren Körper zu Markte tragen zu müssen, statt auf ihren Verstand zu setzen. Diese Mädchen verkauften sich zwar nur indirekt, indem sie hofften, als Gespielin reicher Männer zumindest eine gewisse Zeit von deren Geld zu profitieren, aber das war schlimm genug.
Nun, für eine „Gespielin“ war damals in seinem Leben definitiv kein Platz gewesen, aber seine Wut hatte dringend ein Ventil gebraucht. Nachdem er sein Handy wieder in seiner Tasche hatte verschwinden lassen, hatte er in einem Zug sein Glas ausgetrunken – natürlich nicht sein erster Drink an diesem Abend –, bevor er sich wieder zu ihr umgedreht und schroff befohlen hatte: „Komm.“
Ein Schlagloch in der Straße weckte die Zwillinge. „Sind wir schon da?“ Harrys schläfrige Stimme riss Sander aus seinen quälenden Erinnerungen.
„Gleich“, erwiderte er. „Wir müssen nur noch einmal abbiegen.“
Er hatte seinen Satz kaum zu Ende gesprochen, da war es auch schon so weit. Die Straße machte eine so scharfe Wendung, dass Ruby über den Sitz rutschte und sich fast den Kopf am Fenster gestoßen hätte. Die Zwillinge hatten Glück, dass sie sicher und geborgen in Sanders Armen lagen. Was natürlich wenig überraschend war, denn seine Kinder liebte Sander schließlich.
Ruby verspürte einen Stich. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Sie war doch nicht etwa eifersüchtig auf ihre Söhne, oder? Unwillig schüttelte Ruby den Kopf. Auf gar keinen Fall, das war völlig ausgeschlossen! In Sanders Armen zu liegen war wirklich das Letzte, wonach sie sich sehnte. Verärgert über sich selbst schaute sie aus dem Fenster, während sie durch ein kunstvoll verziertes schmiedeeisernes Tor und dann eine lange, mit Zypressen gesäumte Auffahrt hinunterfuhren, die von in den Boden eingelassenen Leuchtkörpern erhellt war.
Am Ende der Auffahrt lag ein großer, mit Kies bestreuter Platz, mit einer eleganten, in diskretes Scheinwerferlicht getauchten Villa auf der anderen Seite. „Anna – das ist meine Haushälterin – weiß Bescheid, dass ich euch mitbringe. Sie hat für eure Ankunft schon alles vorbereitet. Anna ist mit Georgiou, meinem Fahrer, verheiratet. Die beiden kümmern sich um Haus und Garten und bewohnen das Apartment über der separaten Garage“, informierte Sander Ruby, während der Wagen mit knirschenden Reifen auf dem Kies anhielt.
Noch ehe er seinen Satz ganz beendet hatte, öffnete sich die Eingangstür der Villa. Auf der Schwelle erschien eine große, kräftig gebaute Frau mit dunklem, von grauen Strähnen durchzogenem Haar und ruhigem Gesichtsausdruck.
Schmerzlich berührt beobachtete Ruby, wie die Zwillinge instinktiv nach Sanders Händen griffen, während sie mit ihrem Vater auf die Haushälterin zugingen. Im Gesicht der Frau spiegelten sich Freude und sogar so etwas wie mütterliche Zuneigung, wie Ruby überrascht feststellte, als sich Sander und Anna zur Begrüßung mit unübersehbarer Herzlichkeit umarmten. Damit hatte sie nicht gerechnet. Anna – zumindest sprach alles dafür, dass die Frau Anna war – war für Sander ganz offenbar mehr als nur eine Haushälterin.
Jetzt streckte Anna die Hände aus, um die Jungen willkommen zu heißen, allerdings ohne dabei auf sie zuzugehen. Sie schaute sie nur aufmunternd an und wartete.
Sander gab den beiden einen kleinen Schubs und sagte: „Das ist Anna. Als ich klein war, hat sie sich um mich gekümmert wie eine Mutter, und jetzt wird sie dasselbe für euch tun.“
Ruby wurde von kalter Wut erfasst. Ihre Söhne brauchten Anna nicht. Sie hatten eine Mutter, deren Aufgabe es war, für sie zu sorgen. Kämpferisch
Weitere Kostenlose Bücher