Zum Heiraten verfuehrt
zur Heirat gezwungen zu werden.“
„Das waren nicht nur Frauen. Es gab schon immer auch Männer, die keine Wahl hatten.“
Sander sprach in so schroffem Ton, dass sich die Zwillinge im Schlaf regten. Mit Blick auf ihre Söhne konterte Ruby: „Die Männer hatten schon immer mehr Rechte als die Frauen, auch im Hinblick auf die Ehe.“
„Mann und Frau müssen beide das Recht haben, sich ihre Ehepartner frei zu wählen, ganz egal wie“, betonte Sander.
Ruby blickte ihn ungläubig an. „Also wirklich! Wie kannst du so etwas sagen, nachdem du mich gezwungen hast …“
„ Ich? Du warst es doch, die unbedingt heiraten wollte!“
„Aber nur, weil ich keine andere Wahl hatte.“
„Man hat immer eine Wahl.“
„Eine Mutter nicht. Für eine Mutter sind ihre Kinder in jedem Fall das Wichtigste.“
In ihrer Stimme schwang eine Überzeugung mit, die Sander nur als heuchlerisch bezeichnen konnte. Und das gab er ihr mit dem Blick, den er ihr zuwarf, auch unmissverständlich zu verstehen.
Sofort musste Ruby wieder daran denken, dass sie gestern eingeschlafen war und die Zwillinge sich selbst überlassen hatte. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen kroch.
Sander schaute aus dem Fenster. Bildete sich Ruby wirklich ein, sie könnte ihn über ihre wahren Absichten hinwegtäuschen? Falls das so war, irrte sie sich gewaltig. Er hatte sie von Anfang an durchschaut und wusste, dass es ihr nie um die Zwillinge gegangen war, sondern dass sie einfach nur eine Chance gewittert hatte, sich über den Umweg der Ehe mit ihm zu bereichern. Sie wollte an sein Bankkonto, das war alles.
Aber sie hat vor der Hochzeit diesen Ehevertrag unterschrieben, mit dem sie sich verpflichtet, im Fall einer Scheidung keinerlei Forderungen zu stellen, meldete sich unerwartet eine innere Stimme zu Wort. Weil sie keine andere Wahl hatte, hielt Sander dagegen. Aber die Zwillinge lieben ihre Mutter. Das würden sie bestimmt nicht tun, wenn sie eine schlechte Mutter wäre. Als Kind habe ich meine Mutter auch geliebt, argumentierte Sander. Alle Kinder lieben ihre Eltern, egal wie diese auch sein mögen. Er hatte seine Mutter angebetet, obwohl er sie kaum jemals zu Gesicht bekommen hatte. Sie war für ihn eine unerreichbare schöne Fremde gewesen, nach der er sich seine ganze Kindheit lang gesehnt hatte. Und wenn sie dann endlich bei ihm gewesen war, war er nur dauernd bestrebt gewesen, ihr auch ja zu gefallen und alles zu vermeiden, was einen ihrer gefürchteten Wutausbrüche zur Folge gehabt haben könnte. Anna, die heute als seine Haushälterin bei ihm arbeitete, war ihm eine viel bessere Mutter gewesen – ebenso wie seinen Geschwistern.
Sander versuchte mit Blicken die Dunkelheit zu durchdringen. Die Jungen lagen wie warme, weiche Gewichte an seinem Körper. Seine Söhne, die er aufrichtig liebte, egal wer oder was ihre Mutter war. Allein ihretwegen versuchte er, die eine oder andere gute Eigenschaft an Ruby zu entdecken, nur ihnen zuliebe wollte er glauben, dass sie tatsächlich eine gute Mutter war. Und welcher Vater, der seine Kinder liebte, würde sich für diese nicht eine gute Mutter wünschen, besonders wenn er aus leidvoller Erfahrung wusste, wie sehr ein Kind litt, das eine schlechte Mutter hatte.
Bedrückt starrte Ruby aus dem Fenster. War das nur ihre Befürchtung, oder wandten sich die Zwillinge schon jetzt Sander mehr zu als ihr? Mittlerweile hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und fuhren über eine Küstenstraße, rechts von ihnen das Meer. Wo eben noch schroffe Klippen gewesen waren, erstreckte sich jetzt flaches Land.
Es war viel zu spät und viel zu egoistisch sich zu wünschen, dass alles wieder so werden möge wie früher ohne Sander, überlegte Ruby. Zwischen ihnen hatte sich ein Schweigen breitgemacht, das angefüllt war mit Sanders Verachtung, während Ruby sich wieder einmal in Schuldgefühlen verlor. In diesen ewigen Schuldgefühlen, die auch mit ein Grund dafür waren, dass sie jetzt hier war, wie Ruby erkannte.
Sander blickte immer noch auf seiner Seite aus dem Fenster ins Dunkel, wo die Gespenster der Vergangenheit lauerten. Zu Lebzeiten seines Großvaters hatte die ganze Familie im Palast gewohnt, aber ihnen war es als Kindern strengstens untersagt gewesen, mit ihren Eltern oder mit ihrem Großvater Kontakt aufzunehmen. Für ihre alltäglichen kindlichen Bedürfnisse oder Nöte waren Dienstboten und Erzieher zuständig gewesen. Doch trotz dieser großen räumlichen Distanz wusste ihr Großvater immer
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