Zum Heiraten verfuehrt
dass Ruby ihn begehrte, und die Demütigung, die das für sie bedeutete, hatte sie bereits hinter sich. Was also hatte sie noch zu befürchten?
Nach und nach wurde ihr klar, dass es etwas mit emotionaler Verletzlichkeit zu tun haben musste. Bis jetzt hatte sie Sander nur sexuell begehrt, was nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Gefahr der sexuellen Abhängigkeit in sich barg. Wenn sie sich jetzt auch noch gefühlsmäßig verletzlich machte, ebnete sie womöglich einer weiteren Abhängigkeit den Weg.
Ruby stutzte und runzelte die Stirn. Was denn, wo kam dieser Gedanke jetzt plötzlich her? Sie war ja wohl meilenweit davon entfernt, für Sander irgendwelche Gefühle zu entwickeln, oder?
Nachdem sie ihren Tee ausgetrunken hatte, ging sie noch einmal zu den Zwillingen, um sich zu überzeugen, dass sie auch wirklich fest schliefen. Als Ruby sah, wie Harry und Freddie mit einander zugewandten Gesichtern dalagen, ging ihr das Herz über vor Liebe. In dem Moment, in dem sie sich über die beiden beugte, um ihnen einen Kuss auf die Stirn zu geben, tauchte vor ihrem inneren Auge ein anderes Gesicht auf. Das Gesicht eines kleinen Jungen, der ihren Söhnen sehr ähnlich sah, nur dass in seinen dunklen Augen Schmerz und wütender Stolz brannte. Sanders Augen. Der wütende Stolz war auch bei dem Mann immer noch unübersehbar. Aber wo war sein Schmerz geblieben? Ruby zog die Stirn in Falten. Mit seelischem Schmerz hatte sie Sander bisher noch nicht in Verbindung gebracht. Dennoch war sie fest davon überzeugt, dass die Kindheit einen Menschen für sein ganzes Leben prägte. Was war mit Sanders Schmerz passiert? Hatte er ihn mit aller Entschlossenheit, die er aufbringen konnte, verdrängt? War da eine klaffende Wunde, die niemals verheilte? Eine Wunde, verursacht durch das, was für ein Kind das Grausamste ist – mangelnde Mutterliebe?
Ruby verließ das Kinderzimmer, aber sie machte die Tür nicht fest hinter sich zu, sondern lehnte sie nur an. Ihre Gedanken hatten sie in tiefe Verwirrung gestürzt. Wahrscheinlich war es am besten, wenn sie ebenfalls langsam ins Bett ging, immerhin hatte sie auch einen anstrengenden Tag hinter sich. Prompt bekam sie Herzklopfen.
Ins Bett? Mit Sander?
Sie würde erst einmal ihre Sachen auspacken, das würde sie ablenken. Doch als sie ins Schlafzimmer kam, musste sie entdecken, dass ihr Gepäck verschwunden war. In der Luft hing Zitronenduft, während im Bad nebenan das Wasser rauschte. Das konnte nur Sander sein, der duschte.
Ob er das Gepäck weggeräumt hatte? Oder hatte er Anna gebeten, ihre Sachen ins Gästezimmer zu bringen? Ihre erste Reaktion war Erleichterung, gleichzeitig aber verspürte sie das Bedürfnis, ihre Rolle als Sanders Ehefrau zu verteidigen. Ruby mochte Anna wirklich, allerdings wollte sie nicht, dass Sanders Haushälterin auf den Gedanken kommen konnte, Sander könnte sie zurückweisen. Das wäre einfach zu demütigend. Aber wäre es demütigender, als mit Sander in einem Bett zu schlafen?
Nervös verlagerte Ruby ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sie erstarrte, als sich die Tür zum Bad öffnete und Sander auf der Schwelle erschien.
Er hatte sich nur flüchtig abgetrocknet, auf seinem muskulösen Oberkörper glänzten Wassertropfen. Von der Brust zog sich eine schmale Linie aus nassen schwarzen Härchen über seinen Bauch, bevor sie sich unter dem Rand des weißen Badetuchs verlor, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. Ruby versuchte, ihren Blick loszureißen, aber sie schaffte es nicht. Sie wollte sich nicht erinnern, wollte nicht fühlen, wollte sich nicht ein weiteres Mal überwältigen lassen von ihrem Begehren, und doch war sie ganz und gar machtlos dagegen.
Ihre Sinnlichkeit brachte sie noch um. Was war los mit ihr? Obwohl sie all die Jahre problemlos ohne Sex ausgekommen war, genügte jetzt ein einziger Blick auf diesen Mann, um dieses unerklärliche Verlangen in ihr auszulösen, das sich vollständig ihres Körpers bemächtigte. Bemächtigte. Allein bei dem Wort loderten die Flammen hoch empor, die an ihr leckten, und das heftige Pochen in ihrem Schoß verstärkte sich.
Es ist nur ihre Schuld, dass ich sie will, schoss es Sander durch den Kopf. Sie und nur sie allein – ihr weicher Mund, ihr Verlangen, der hungrige Blick – war schuld, dass er unfähig war, diese unbezähmbare Lust unter Kontrolle zu halten. Nur ihr hatte er es zu verdanken, dass diese ungestüme Begierde, diese wahnwitzige Dringlichkeit in ihm wütete. Etwas, das
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