Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
weiterfährt, wie man Straßensperren umkurvt und mit dem Auto aus einem Hinterhalt ausbricht. Man brachte uns auch bei, wie man andere Wagen offensiv von der Straße drängt. Zum Kummer unserer Ausbilder verfeinerten wir unsere diesbezüglichen Fertigkeiten mithilfe von Mietwagen. Man führte uns in die Grundlagen des Spionagehandwerks ein und wir studierten, wie man tote Briefkästen anlegt und Abholzeichen hinterlässt oder richtig interpretiert und wie man gegnerische Überwacher abschüttelt. Wir hörten Vorlesungen über die Organisation und die Methoden des KGB, der ostdeutschen Stasi und des kubanischen Geheimdiensts DGI.
Wir lernten, die Waffen, die man uns übergeben hatte, und noch Hunderte andere zu bedienen und zu zerlegen. Wir bekamen Schießunterricht und studierten die Pistolenkampf- und Polizeischusstechniken solcher Meister ihres Faches wie Rogers und Chapman. In einer Übung namens »El Presidente« standen wir mit erhobenen Händen mit dem Rücken zu drei Pappkameraden, wobei die Pistole noch im Holster steckte. Auf Befehl drehten wir uns blitzschnell um, zogen unsere Waffe, feuerten zwei Kugeln in jedes Ziel, luden nach und feuerten zwei weitere Kugeln auf das Trio. Bei dieser Übung war ich sogar ganz gut. Ich brauchte nur etwas mehr als fünf Sekunden, um zweimal sechs Schüsse abzugeben und dazwischen meine Waffe nachzuladen.
Der beste Operator des Teams schaffte das in viereinhalb Sekunden.
Das Combatschießen unterscheidet sich grundsätzlich und qualitativ von der traditionellen Schießkunst. Beim normalen Gewehr- und Pistolenschießen soll der Schütze ein Auge schließen, sich entspannen, zielen und dann ganz langsam abdrücken. Wenn man das Ganze übereilt, besteht die Gefahr, dass man den Schuss verreißt. Beim Combatschießen muss es dagegen notwendigerweise ganz schnell gehen. Wenn Leute auf dich zurückschießen, ist Geschwindigkeit lebenswichtig.
Als Erstes brachte man uns bei, aus der hohen Vorhalteposition zu schießen. Dabei wandten wir uns mit leicht gebeugten Knien dem Ziel zu und verlagerten das Körpergewicht auf die Zehen. Der genaue Name dieser Waffenhaltung war der »Isoceles Stance«. »Isosceles« bedeutet »gleichschenklig« und bezieht sich auf die Stellung der Arme in Relation zu den Schultern, denn bei dieser Anschlagsart sind beide Arme gleich ausgestreckt und bilden so mit den Schultern ein gleichschenkliges Dreieck. Unsere MP5 war dabei mit einem speziellen 3-Punkt-Riemen über der Schulter und an der Brust fixiert. Wenn wir die Waffe hoben, um sie aufs Ziel zu richten, wurde der Riemen dadurch zu einem weiteren Stabilitätspunkt, wie eine dritte Hand, die die Waffe stabilisierte. Nach dem Feuerbefehl legten wir den Sicherheitshebel um und schossen in schneller Folge zwei Schüsse ab (»Double-Tab« oder »Doublette«), sicherten die MP und kehrten zur hohen Vorhalteposition zurück. Zuerst schossen wir auf bewegte Ziele, lebensgroße Silhouetten und Kopfscheiben von der Größe einer Schüssel. Wenn die Kugeln von den metallenen Zielscheiben absprangen, war dies ein sofortiges Feedback, ein Ablauf, den man »Aufschlagpunkt = Zielpunkt« nennt. Der Klirrlaut der Kugeln und das Verpuffen der Bleisplitter vervollständigten die Rückkopplungsschleife. Auge, Hand, Kugel, Ziel, Gehirn.
Diese Form des Gefechtsschießens ist dynamisch und nicht statisch. Deshalb verbrachten wir auch nicht viel Zeit damit, auf stationäre Ziele zu schießen. Wir lernten, uns zu bewegen und zu schießen, zu schießen und uns zu bewegen und zu schießen, während sich die Ziele bewegten. Dies erforderte eine andere Form des Zielens, die sich von den zielfokussierten Techniken des normalen Schießens auf größere Distanzen vollkommen unterschied. Man lehrte uns, beim Zielen beide Augen offen zu halten und uns nicht nur auf das Ziel zu konzentrieren, sondern auch auf das Umfeld zu achten. Das ist natürlich nicht ganz leicht, vor allem für Schützen, die es gewohnt sind, auf Ringe zu schießen, die auf Papierzielscheiben gedruckt sind.
Bei den meisten Rechtshändern ist das rechte Auge dominant, während die meisten Linkshänder ihr linkes Auge favorisieren. Das dominante Auge ist besser geübt und auch ein wenig schärfer. Beim traditionellen Schießen wird das nicht-dominante Auge geschlossen. Wir lernten dagegen eine Methode, unser nicht-dominantes Auge offen zu halten, es dabei jedoch quasi abzublenden, während wir mit dem dominanten Auge gleichzeitig das Ziel erfassten und
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