Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
dies das ganze Wochenende benötigen würde.
»Herrgott. Sie sind ja patschnass. Wo sind Sie denn gewesen, Sir?«, fragte er mich jetzt.
Dabei war doch offensichtlich, dass ich nicht Tanzen war. »Wassersprünge«, antwortete ich. »Was ist eigentlich mit dem ganzen Zeug passiert, das auf meinem Schreibtisch lag?«
»Das waren die guten Feen«, meinte er trocken. »Natürlich Offiziersfeen, denn so etwas wie Unteroffiziersfeen gibt es natürlich nicht.«
Ich lächelte. Der Master Chief schaute mich an. »Wie viele Absprünge waren das jetzt?«
»Zehn«, antwortete ich. Master Chief Boynton stellte sich vor mich und nestelte das goldene Navy-Springerabzeichen von seiner Uniform, das er unter seinen Ordensbändern trug. »Hier«, sagte er, »Sie werden eines von denen brauchen.« Er überreichte mir seine Goldflügel.
»Bevor Ihnen jetzt die Tränen kommen, ich besitze wahrscheinlich über 100 von denen. Sie kosten nicht sehr viel, Sie brauchen mir also keinen Dankesbrief zu schreiben. Ich war es nur leid, immer auf Ihr hässliches, billiges Army-Abzeichen schauen zu müssen.« Er ging nach draußen.
Ein Navy-Springerabzeichen kostet im Uniformladen etwa 5 Dollar. Trotzdem bedeutete mir dieses Geschenk ungeheuer viel. Mike Boynton war das Urbild eines Froschmanns, ein wandelndes Lexikon für alles, was mit den Aufgaben unseres Teams zu tun hatte – er war ein Operator .
Mike ist schon einige Zeit tot, aber sein Abzeichen besitze ich noch.
Beweglich, flexibel und feindselig
Senior Chief John Jaeger hatte für Neulinge genauso wenig übrig wie für Offiziere. Am allerwenigsten mochte er jedoch frischgebackene Offiziere. Und ausgerechnet seiner liebevollen Betreuung wurden wir unterstellt, als wir im Frühjahr unser AOT offiziell begannen. Das Advanced Operator Training sollte uns zu echten Kämpfern machen. Es war irgendwie bezeichnend für die SEALs, dass man ausgerechnet einen Mann zum Leiter eines Ausbildungslehrgangs gemacht hatte, dem Dummköpfe ungeachtet ihres militärischen Rangs einfach unerträglich waren. Der Senior Chief war außerdem nicht gerade ein geduldiger Mann. Er musste uns so viel beibringen, und dabei wollte er keine Zeit verlieren. Wenn man mit dem Senior Chief trainierte, hatte man immer den Eindruck, dass Ganze könnte noch viel schneller gehen – wenn wir nicht so furchtbar dumm gewesen wären.
Jaeger war ein rotgesichtiger, untersetzter Mann von Anfang 40. Er war für das SEAL Team One mehrere Male als M60-MG-Schütze in Vietnam gewesen. Er machte auch kein Hehl daraus, dass er den Krieg liebte. Der Senior Chief schien einen ganz leichten deutschen Akzent zu haben, wobei dies allerdings nicht seine größte Spracheigentümlichkeit war. Er hatte eine Art Sprachtick. Er beendete seine Aussagen und Sätze ständig mit dem Ausdruck »oder so«. Er sagte unentwegt Sätze wie: »Bewegen Sie Ihren Arsch hierher, bevor ich Sie erschieße, oder so .« Oder: »Ihr Typen seid so dumm wie Schifferscheiße, oder so .«
Es wurde gemunkelt, er sei während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland in einem Lebensborn-Heim geboren worden, wo SS-Männer speziell ausgewählte arische Frauen schwängerten. Nach dem Krieg sei er von einem US-Army-Ehepaar adoptiert worden, das jedoch bald gestorben sei. Sicher weiß ich nur, dass er in einer Reihe von Waisenhäusern im Mittleren Westen aufgewachsen ist. Selbst als ich ihn später besser kennenlernte, fragte ich ihn nie nach seiner vermutlich deutschen Herkunft. Ich meine, wie soll man eine solche Frage auch formulieren? Etwa: Ich habe gehört, Sie seien das Ergebnis eines genetischen Nazi-Experiments?
Körperlich gab der Senior Chief gar kein so beeindruckendes Bild ab, er war nicht sehr groß und am Äquator etwas ausladend. Draußen im Feld kannte er jedoch keine Müdigkeit. Er kam dann in der Woche mit zehn Stunden Schlaf aus. Außerdem war es ihm überaus wichtig, das wöchentliche 2-Meilen-Schwimmen der Einheit zu gewinnen. Zum Kummer und Ärger unserer Triathleten überquerte John Jaeger gewöhnlich die Ziellinie als Erster, rollte sich auf den Rücken, schleuderte seine Schwimmflossen weg, holte sich eine Zigarette aus einem Plastikbeutel, den er in seinem Taucheranzug aufbewahrte, und zündete sie an. Wenn es jemand wagte, ihn wegen seines Rauchens zu kritisieren, hielt er ihm einen Vortrag über den Atomkrieg.
»Wenn die Apokalypse anbricht, wird es nichts mehr außer Rauch und Staub geben, und ihr Müsli fressenden und nicht rauchenden
Weitere Kostenlose Bücher