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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Riß, die rechte Hand hatte nur noch drei Finger. In den Falten des Gewandes fehlten Stücke. Und die Augen blickten über Huilsmann hinweg in die Ferne. In die Unendlichkeit.
    Toni Huilsmann kehrte ebenso leise in sein Zimmer zurück, wie er gegangen war. Die rote Mary lag auf dem Rücken, hatte die Decke von sich gestrampelt, und da sie völlig nackt war, schenkte sie einen fast ästhetisch schönen Anblick mit ihren sich hoch wölbenden, festen Brüsten, dem flachen Magen, den sich wegschwingenden Hüften und den langen, schlanken Beinen. Nur ihr Mund, im Schlafe halb offen und einen pfeifenden Atem ausstoßend, war ordinär, eine häßliche Kerbe in dem rätselhaft jugendlichen, ja kindlichen Gesicht.
    Huilsmann deckte sie wieder zu, zog sich aus, legte sich daneben und schlief schnell ein. Er hatte eine schauerliche innere Ruhe gewonnen, und als er schlief, bekam sein jungenhaftes Gesicht etwas Brutales, das niemand an ihm kannte, er vielleicht selbst nicht.
    Es gibt Situationen, in denen ein Mensch erkennt, daß er keine Chancen mehr hat und die einzige Möglichkeit, weiterzuleben, die Flucht in die Resignation ist.
    Bei Petra Erlanger war dieses Phänomen eingetreten. Sie hatte sich seit ihrer wahnwitzigen Liebe zu Boltenstern immer dagegen gewehrt, bis zu dem Gewitter in den Bergen, als sie sich wimmernd vor Angst in die kleine Felsbucht verkroch und eine Stunde lang von Blitzen und krachenden Donnern geschüttelt wurde.
    Spätestens nach diesem Gewitter erkannte sie, daß ein Flüchten vor der Wahrheit sinnlos war.
    Nach dem letzten Blitz, nach dem letzten verebbenden Donner trat Boltenstern, völlig trocken und fast fröhlich, an ihre Felseinbuchtung heran und sah zu ihr, dem zitternden, durchnäßten, aufgelösten Kleiderbündel, herunter.
    »Das war ein Wetterchen!« sagt er mit der Impertinenz des Angstlosen. »So etwas kommt auf Rhodos alle hundert Jahre vor. Es ist ein Ereignis, daß wir das erleben konnten!«
    Petra Erlanger blieb auf dem nassen Steinboden hocken wie ein fast ertränktes Kaninchen. Nur ihre Augen starrten Boltenstern mit offenem Haß an.
    »Wo warst du?« fragte sie. Sie wunderte sich, wie dünn ihre Stimme klang.
    »Gleich neben dir. In einer schönen, trockenen Höhle.« Boltenstern strich sich über die graumelierten Haare. Eine aufreizend elegante Bewegung: Sieh her, ich habe nicht gelitten …
    »Hast du mich nicht gehört?« fragte Petra. Ihre Lippen zitterten unter dieser Frage.
    »Doch«, antwortete Boltenstern gleichgültig.
    »Du hast alles gehört? Alles?!« Es war beschämend, das zu fragen, und es war der Anfang ihrer Kapitulation.
    »Ja. Jedes Wort.«
    »Und warum bist du nicht gekommen?«
    »Ich wäre sehr naß geworden.« Boltenstern sah an seinem trockenen Anzug hinunter. »Ich habe von jeher eine Aversion gegen feuchte Kleidung.«
    Er bückte sich, gab ihr beide Hände, zog sie hoch und stellte sie in die Sonne, die plötzlich wieder vom Himmel brannte, als habe sie jemand mit einem Schalter angeknipst. Fern über dem Meer jagte die dunkle Wolkenwand dahin. Der Boden dampfte. Aus den Gärten und Weinbergen stieg der Dunst wie Nebel. Es roch betäubend nach Hunderten von Blüten, ein Duftgemisch, für das es nie einen Namen geben wird.
    »Zieh dich aus!« sagte er.
    »Hier?« Petra Erlanger starrte ihn an. »Was soll das?«
    »Du kannst nicht mit den nassen Kleidern gehen.«
    »Sie werden am Körper trocken.«
    »Das ist ungesund.« Boltenstern sah ihr kalt in die flimmernden Augen. »Zieh dich aus.«
    »Wenn jemand kommt –«
    »Bis zu unserem Garten sind es dreihundert Meter. Jetzt kommt keiner die Felsen herauf.« Er hob abwehrend die Hand, als sie nochmals widersprechen wollte. »Ich will, daß du dich ausziehst!« sagte er mit einer Kälte, die Petra Erlanger umgab wie die Ausdünstung eines Eisberges. »Es ist nicht meine Art, Kleider vom Leibe zu reißen …«
    Da zog sie sich aus, und zum erstenmal schämte sie sich ihrer Nacktheit. Tagelang war sie als Elfe durch die Sonne gerannt, in der Wärme des Tages unerreichbar für ihn, und es hatte ihr eine selige Wonne bereitet, ihn wegzustoßen, wenn er ihr nachlief wie ein trunkener Faun. Nun ging sie vor ihm her, den Felsenpfad hinunter, die nassen Kleider zu einem Bündel geknüllt in der Hand, und ihr schmaler, bronzefarbener Körper war die ersten hundert Meter noch naß, die Sonne trocknete die Tropfen auf ihrer glatten Haut, und sie spürte mit ihren überempfindlichen Nerven das leise Kribbeln, wenn sich

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