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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht, ich höre keine dummen Predigten, du kannst dich nicht entsetzen, und doch siehst du mich an wie ein lebender Mensch.«
    Huilsmann sah hinauf zum Kopf Christi.
    »Wer bin ich?« fragte er laut. »Bitte, das ist keine Beichte, sondern eine nüchterne Betrachtung. Ich hatte Glück im Leben, weiter nichts. Ich fand genug Dumme, die reich genug waren, sich von mir Häuser bauen zu lassen, die Denkmäler ihres Größenwahns wurden! Dabei wurde ich selbst reich. Ich betrog sie, wo ich nur konnte … ich setzte höhere Löhne und Materialkosten ein, und ich war überall beteiligt: bei den Baustoff-Firmen, die vom Zement bis zum Dachziegel alles verteuerten, beim Bauunternehmer, bei der Zulieferindustrie, beim Elektriker und Klempner, Schreiner und Installateur. Überall erhielt ich Prozente, wenn ich ihnen die Aufträge zuteilte. Das ist kein Verbrechen, lieber Sohn Gottes … das ist die Geschäftspraktik, wie sie heute ab einer bestimmten Größenordnung üblich ist! Und die dummen Reichen zahlten, bezogen ihre Glaspaläste und leben darin als moderne Maharadschas.«
    Huilsmann richtete eine Kerze gerade, sie brannte schief ab, was seinem Schönheitssinn widersprach. Dann sah er wieder hinauf zum Gesicht Christi, und es war sehr ernst und nahe, ja es war, als habe es größere Augen bekommen.
    »Ich lebe nun genauso … ich kaufe mir, was ich haben will … vom zwanzig Jahre alten Whisky bis zum zwanzig Jahre jungen Mädchen! Auch das ist ganz natürlich … von einer bestimmten Einkommensklasse an hören die Wünsche auf, und die Welt verwandelt sich zu einem Kaufhaus, wo die Kassen klirren und die Waren über die Theke geschoben werden. Das Leben wird illusionslos. Man geht durch dieses Kaufhaus, und plötzlich sieht man mit Schrecken, daß das Angebot immer gleich ist … die gleichen Schaufensterpuppen, nur in anderen Fähnchen, mit anderen Frisuren, mit anders gedrehten Köpfen und Händen und Beinen und Füßen. Und du stehst in diesem Kaufhaus und ringst mit dem Kotzen, und die Langeweile ist da, und du wirst senil oder kindisch-blöd, arrogant-frech oder herrschsüchtig, liebestoll bis zum Wahnsinn oder ganz verzweifelt. Das ist der Mensch … und ihr nennt ihn ein Abbild Gottes!«
    Huilsmann betrachtete wartend die hölzerne Christusfigur. Der Kerzenschein ließ das fließende Gewand sich bewegen, und um den schmalen Mund lag ein mitleidiges Lächeln, das Huilsmann vordem nicht bemerkt hatte. Er hob beide Hände, winkte ab und begann, vor der Figur hin und her zu gehen.
    »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich einen Menschen töten werde!« Mit einem Ruck blieb Huilsmann stehen und sah Christus in die Augen. Und jetzt waren sie lebloses Holz und starrten an ihm vorbei wie der Blick eines Toten. Aber das erschreckte ihn nicht – im Gegenteil, nun, da er es ausgesprochen hatte, kam er sich befreit und wie mit sprudelnder Kraft durchtränkt vor.
    »Ich muß es tun, das ist es, was ich beweisen wollte. Ich bin ein feiger, hinterhältiger, ganz dem Genuß lebender Mensch. Ich erkenne mich genau. Es ist nicht so, daß ich mich vor meinem Bild fürchte, daß ich flüchte vor mir selbst! O nein! Ich weiß genau, welch ein armseliges Geschöpf ich bin und daß in mir eine Art von Irrsinn ist, die man vornehm mit Lebensangst und Lebensgier umschreibt. Hunderttausende leiden darunter, und sie wissen es nicht! Ich aber weiß es von mir! Soll ich mein geliebtes Leben durch einen Akt der Moral opfern? Soll ich mich erpressen lassen, mich der Polizei stellen, mich völlig ändern? Wozu? Warum? Was kommt dabei heraus? Ich bin ein Feigling, man muß das immer wieder betonen! Und nun frage ich dich: Was soll ich anderes tun, als den Menschen umzubringen, der diese Feigheit stört?«
    Huilsmann klopfte an das Holz von Christus' Faltengewand. Dann nahm er plötzlich die Faust und hieb gegen den Sockel.
    »Sag etwas! Nicht deine Sprüche: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! – Vergib, und dir wird vergeben werden! – Du sollst nicht töten! – Was sind das für Worte? Richtet sich jemand danach? In der Welt werden jedes Jahr Milliarden ausgegeben, um Waffen zu kaufen, die den Nächsten töten sollen! Es heißt, in der Bibel stehe auf jede Frage eine Antwort! Wo ist die Antwort? An alles habt ihr gedacht … nur nicht an die Lust eines Feiglings, leben zu wollen!«
    Huilsmann schwieg. Die Kerzen flackerten. Christus war aus Holz, aus altem, graubraunem, wurmstichigem Holz. Über seine linke Wange zog sich ein

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