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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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beugte sich über sie. Schäl mich, schrie die Apfelsine. Schäl mich! Bitte schäl mich! Aber der Riese nahm ein Messer und setzte an, die Apfelsine mitten durchzuschneiden. Nein, schrie die Apfelsine, nein! Und sie rollte weiter … auf einem alten Zeitungsblatt lag sie … und das Blatt begann zu schweben, wurde zu einem silbernen Teller, und sie lag darauf und zwei Mäuse tanzten Twist auf ihrer Schale. Das kitzelte … oh, wie das kitzelte …
    Die rote Mary rollte weiter durch das Zimmer. Sie kicherte dabei, zog sich an den Haaren und spuckte um sich.
    Hermann Schreibert raste durch das Zimmer, zog sich die Schuhe aus, warf sie gegen die Wand, verkroch sich dann hinter der Couch und versuchte, seinen Kopf in die Erde zu bohren. Sein Mund war aufgerissen, aber kein Schrei kam aus der Kehle, nur ein trauriges Seufzen und merkwürdiges helles Piepsen.
    Sibirien … die Taiga … unendliche Wälder … riesige Zedern und Fichten … Schneemassen, die alles Leben begraben … der Eissturm heult durch die Zweige … der Himmel fällt auf die Erde … Aber da ist ein Nerzmännchen … es schwingt sich von Baum zu Baum … turnt von Ast zu Ast … und unten, im Schnee, tappt auf den breiten tungusischen Schneeschuhen ein Jäger und schießt auf den Nerz. Ein breites Gesicht hat er, seine Augen sind schräg, ein wilder Bart umwuchert das Kinn … und der Jäger lacht dröhnend … er droht dem flüchtenden Nerzmännchen … er legt an … er schießt … und das Nerzmännchen schwingt sich weiter von Ast zu Ast, flüchtend in Todesangst, und es klettert höher, immer höher, dem Eissturm entgegen, dem schweren, grauen Himmel … Aber der Kopf des Jägers klettert mit … O Himmel, nur der Kopf … er schwingt sich auch von Ast zu Ast … der Kopf mit dem lachenden, aufgerissenen Maul und den glühenden Augen.
    Richard Erlanger lag auf der Couch und zuckte mit den Beinen. Er rollte auf den Teppich, riß den Tisch um und wälzte sich zwischen zerbrochenen Gläsern, zerstampftem Gebäck und weggeworfenen Kleidungsstücken. Die Augen hatte er weit aufgerissen. Alles Blut war aus Gesicht und Lippen gewichen … bleich, phosphoreszierend sah er aus.
    Ein Urwaldpfad … er geht ihn entlang … aber er ist kein Mensch mehr, sondern eine Riesenspinne … Er sieht sich … seine Augen, sein Kopf, aber dahinter der eklige, behaarte Leib des Riesenviehs … Ein Tiger kommt ihm entgegen … und sie stehen sich gegenüber, starren sich an, und jeder hat Angst vor dem anderen, aber einer muß aus dem Weg gehen … Der Tiger duckt sich … er, die Spinne, spreizt den Giftstachel … aber da hängt eine Schlange plötzlich vom Baum über ihm … eine widerliche, weiße seidenglatte Schlange … sie ringelt sich um seinen Hals … sie würgt ihn … Luft … Luft … Luft … und der Tiger lächelt, und sieht jetzt aus wie Boltenstern, und er geht zurück in den Dschungel … aber die Schlange würgt weiter … eine weiße, seidige Schlange … Luft! Luft! Und dann platzt der Himmel und es regnet blutige Tropfen in den Urwald …
    Richard Erlanger streckte sich auf dem Teppich aus.
    Beatrice warf sich über ihn, ihr platinweißes Haar stand ab wie die Schlangen am Medusenhaupt. Sie lachte hysterisch, riß sich die letzten Fetzen vom Körper und biß Erlanger in die Schulter. Dann blieb sie ruhig liegen und schmatzte leise.
    Sie war ein schwarzer Panther, der zufrieden im Gras lag und fraß …
    Um 4.43 Uhr verließ Hermann Schreibert schwankend die Huilsmann-Villa, kletterte ächzend in seinen schweren Reisewagen und fuhr davon. Er war völlig nüchtern, hatte sich von Erlanger, Boltenstern, Huilsmann und den Mädchen verabschiedet und freute sich auf sein breites Bett.
    So wenigstens sah er sich; er war nicht müde, ein fader Geschmack lag zwar wie Lederbeize in seiner Mundhöhle, sein Kopf brummte etwas, aber er fühlte sich frischer als sonst nach solchen ›Konferenzen‹.
    Der Morgen war regnerisch und dunkel. Die Straße vor ihm flimmerte und glänzte, die Scheinwerfer warfen das Licht blendend zu ihm zurück, und er kniff die Augen zusammen, um klar zu sehen.
    Die Chaussee nach Benrath. Wie schnell die Rückfahrt ist! Die bekannten Bäume links und rechts, dazwischen das glatte, asphaltierte Band der Straße.
    Wie der Regen von den Bäumen tropft. Man hört es fast.
    Klick – klick – klick –
    Bäume.
    Die Taiga!
    Riesenbäume. Im Eis erstarrt.
    Der Kopf des Jägers … er schwingt sich noch immer von Ast zu Ast … er jagt

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