Zum Nachtisch wilde Früchte
kurz. »Komm ins Zimmer, Major.«
Seit dem Tag bei Meseritz an der Obra nannten die vier Freunde ihren damaligen Vorgesetzten nur noch einfach Major. Im sowjetischen Lazarett von Minsk war es gewesen, in der Gefangenschaft, im Holzfäller-Lager bei Irkutsk, in den Viehwagen, mit denen sie neun Wochen durch Rußland zur Entlassung rollten. Und das blieb in all den Jahren des gesellschaftlichen Aufstieges bis zum heutigen Tag: Der Major half. Der Major war die Feuerwehr ihres oft brandigen Lebens. Der Major war Sicherheit. Er ersetzte ihnen die mütterliche Wärme und die väterlichen Ermahnungen.
Konrad Ritter hängte seinen nassen Mantel in die Garderobe und folgte Boltenstern in das hell erleuchtete Riesenzimmer. Vor dem Kamin sah er die langgestreckte Gestalt auf dem Teppich. Mit einem Ruck blieb er stehen. Das Gesicht des Liegenden war von einem umgestürzten Tischchen verdeckt.
»Himmeldonnerwetter!« sagte Ritter mit plötzlich belegter Stimme. »Alf … das ist doch nicht wahr!«
»Leider doch, Major. Er ist tot …« Boltenstern setzte sich neben den hingestreckten Körper auf eines der orientalischen Lederkissen. »Du mußt helfen.«
Konrad Ritter war an der Rundbogentür stehengeblieben und starrte auf den Toten. Dann wischte er sich über das Gesicht und zog sich den Schlips herunter. Ihm war plötzlich heiß geworden. Glühend heiß.
»Wer ist es denn?« fragte er.
»Richard Erlanger.«
»Aber wie kam das denn? Herzschlag?«
»Nein. Selbstmord.«
Boltenstern beugte sich vor und schob das Tischchen von Erlangers Kopf.
Die Augen waren weit aufgerissen und glasig. Der Mund klaffte offen, als sei er durch einen Beilhieb geöffnet worden. Um seinen blau angelaufenen, geschwollenen Hals war ein weißer Seidenschal geknotet, so fest geschnürt, daß Kinn und Wangenfleisch darüber hingen.
Konrad Ritter setzte sich erschüttert. »Erwürgt«, sagte er tonlos. »Richard! Das ist doch völlig sinnlos. Er war doch der Reichste von euch, er hatte keine Sorgen, keine Schulden, keine Feinde. Er war ein Glückskind!«
»Du siehst es ja, Major.« Boltenstern starrte in den erloschenen Kamin. »Ich wußte mir keinen Rat mehr. Ich mußte dich rufen.«
»Wo sind die anderen?«
»Huilsmann schläft, Schreibert ist nach Hause gefahren.«
»Und die Weiber?«
»Mit einem Taxi weg.«
Konrad Ritter nickte. Eine gute taktische Überlegung … Räumung des Schauplatzes von möglichen Zeugen. »Wir müssen die Polizei anrufen, Alf.«
»Ist schon geschehen, Major. Dein Sohn ist unterwegs.«
»Das ist schlecht.« Konrad Ritter stieß zerbrochenes Glas über den Teppich. »Er wird nun wieder alles ganz genau wissen wollen.«
»Dazu bist du ja nun da.«
»Wer war dabei, als Richard sich umbrachte?«
»Wir alle. Aber die Mädchen haben es gar nicht mitbekommen, und Huilsmann war zu betrunken.«
»Und Schreibert?«
Boltenstern sah an die Sternendecke, die jetzt im grellen Lichtschein kitschig und überladen wirkte.
»Hermann war ein paar Minuten mit Richard allein. Ich war auf der Toilette. Toni lag schon betrunken zwischen den Mädchen. Als ich zurückkam, fand ich Richard so vor, wie er jetzt auf dem Teppich liegt. Mit dem seidenen Schal um den Hals. Und Hermann saß auf der Couch, mit blutunterlaufenen Augen und trank Kognak aus der Flasche.«
Boltenstern hob die Schultern, als Konrad Ritter ihn stumm und entgeistert ansah.
»Das ist doch nicht möglich«, stotterte Ritter, als Boltenstern das Gesicht in beide Hände legte, als könne er den Toten nicht mehr ansehen. »Schreibert … du willst doch nicht behaupten, daß Schreibert … daß es kein Selbstmord ist … daß … daß … Mensch, Alf, das darfst du gar nicht aufkommen lassen! Es war ein Unfall!«
»Ich weiß, daß Richard sich für eines der Star-Mannequins Hermanns interessierte. Wir kennen Schreibert doch alle zu gut und wissen, wie er darauf reagiert. Irgendwie muß bei ihm heute nacht der Faden gerissen sein –«
»Das darfst du nie sagen, Alf.« Konrad Ritter sprang auf. »Wir müssen uns einigen, daß Richard in Volltrunkenheit sich selbst umgebracht hat. Junge –« Ritter trat nahe an Boltenstern heran und legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Wir waren fünf Kameraden, fünf Freunde, die durch dick und dünn gegangen sind. Wir haben Sibirien überlebt, die Hungerjahre im Lager, die Strafmonate im Bergwerk, als wir zusammen flüchteten und zusammen wieder eingefangen wurden. Nichts konnte uns kleinkriegen … und jetzt wollen wir
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