Zum Nachtisch wilde Früchte
der die Halle von dem Wohnraum optisch abtrennte. »Wann haben wir uns zum letztenmal gesehen?«
»Vor vierzehn Tagen, du Dussel!« Schreibert saß schon auf einem der orientalischen Sitzkissen, bewunderte zum vielleicht dreißigsten Male die raffinierte Lichtwirkung der gläsernen Blumenkästen und massierte sich die Knie.
Das war ein altes Leiden von ihm. Eine Berufskrankheit. Ein Modeschöpfer – so sagte er einmal – ist frömmer als eine Betschwester … sie kniet nur stundenweise, aber ein Modeschöpfer liegt dauernd auf den Knien … beim Anprobieren, beim Drapieren am lebenden Modell, beim Abstecken, beim Beobachten der Falten- und Gangbewegungen des Kleides, kurzum: Schreiberts Knie waren stets gerötet, leicht geschwollen und anfällig gegen Kälte und Nässe. Darum massierte er sie auch dauernd, wenn er saß.
»Das war in Köln. Alf hatte Mädchen vom Ballett besorgt.« Schreibert streckte das massierte Bein weit von sich. »Kinder, das wäre beinahe schiefgegangen. So ein Häschen tauchte doch plötzlich bei mir im Atelier auf und wollte Mannequin werden. Hatte ich eine Not, Madeleine zu beruhigen! Mit einer Vase voller Wasser ist sie auf die Kleine los!«
Boltenstern und Erlanger standen am Kamin und tranken mit kleinen Schlucken den angewärmten Kognak. Noch war ihre Stimmung kühl. Im Raum lag etwas Bedrückendes, von dem niemand sagen konnte, was es war. Aber jeder spürte es, sogar Huilsmann, der als einziger laut sprach und in seinem riesigen Wohnzimmer herumrannte wie ein Kellner, der drei Kegelklubs zu bedienen hat.
Sonst, bei ihren früheren Zusammenkünften, war es anders gewesen. Da gab es schon an der Tür ein Hallo und Schulterklopfen, Schreibert – ja, meistens war es Schreibert – erzählte den neuesten Witz, und brüllend betrat man das Zimmer, in dem nach einer Stunde die angesehenen Herren der Düsseldorfer Gesellschaft ihre Jacken und mit ihnen ihre Zurückhaltung abwarfen und sich benahmen wie betrunkene Mongolen. Wenn man sich dann gegen Morgen trennte, mit geröteten Augen, schwitzend, etwas außer Atem, in den Fingern noch das Gefühl nackter Mädchenkörper, mit Kußflecken vom Kinn bis zur Kniekehle, gab man sich die Hand, sah sich blinzelnd an und sagte: »War mal wieder Klasse, Junge! So etwas ist nötig! Ein Ballon, der fliegen soll, muß ab und zu aufgeblasen werden!«
Und dann fuhr man nach Hause, legte sich ins Bett, verschlief den halben Tag und sagte am Mittagstisch mit verquollenen Augen: »Also, der Alf, der kann ja einen wegsaufen! Nie wieder, sage ich, nie wieder mache ich das mit!«
Aber das Datum der neuen Zusammenkunft trug man bereits im Gehirn. Es ist nicht einfach, ein erfolgreicher Mann zu sein …
An diesem 21. Mai fehlte die Stimmung völlig. Auch als Huilsmann von der Halle hereinstürzte und rief: »Die Süßen kommen!« verwandelten sich die vornehmen Herren nicht in jungenhaft bewegliche, angegraute und ausgehungerte Kavaliere, sondern blieben in dem matt erleuchteten, exotischen Zimmer und nippten an ihren Kognakschwenkern.
»Wir sollten eine Pause einlegen«, sagte Erlanger. »So langsam wird es fade. Immer die gleiche Sorte Mädchen, immer die gleichen Spiele, immer das dumme Seufzen von Liebe und Schätzchen und ›oh, wie wild bist du, Schatzi‹ und ›au, du tust mir weh!‹ – und du weißt, daß das alles im Programm steht und mit bezahlt wird und zum Pussiesein dazugehört, wie das Stöhnen und Brüllen der Catcher. Wir wollten uns was anderes einfallen lassen.«
»Nach Paris«, rief Schreibert und massierte sein linkes Knie. »Ich sage ja immer: Macht euch einmal drei Tage frei und kommt mit nach Paris. Stellt euch vor: Die Tochter einer russischen Großfürstin kostet 100 Francs! Bevor es losgeht, singt sie die ›Wolgaschlepper‹ … und hinterher die ›Abendglocken‹.«
»Schnauze!« knurrte Boltenstern. Durch die Halle kamen die Mädchen aus Dortmund, angeführt von Huilsmann, der glänzte wie ein in Fett gerösteter Fasan. »Ich nehme die Schwarze.«
Schreibert atmete schnaufend durch die Nase. »Rot habe ich zu Hause als Hausmannskost … ich nehme die Blonde.«
»Du die Platinweiße?« fragte Boltenstern und stieß Erlanger in die Seite.
»Ich weiß nicht.« Richard Erlanger drückte das Kinn an. »Am liebsten möchte ich gehen. Es kotzt mich alles an! Alf, ich glaube, wir sind zu satt. Wir sollten uns einmal richtig vor uns selbst übergeben …«
»Jetzt macht er wieder in Moral.« Schreibert erhob sich von seinem
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