Zum Nachtisch wilde Früchte
zweimal traf man sich, durchtrabte die stillen Waldstücke, rastete auf Hügelkuppen und blickte versonnen über das sommerliche Land. Die Unterhaltung lief auf Filzpantoffeln. Von dem toten Richard wurde nicht gesprochen – Tote soll man ruhen lassen, sagt ein weises Sprichwort –, aber seine Gegenwart war doch irgendwie spürbar. So vieles im täglichen Leben Petras und Boltensterns – im Betrieb, im Privatleben, jetzt hier in der Landschaft bei der Reitrast, beim Tennis oder Golf –, überall eigentlich, war der Geist Richards zu finden, denn alles hatten ja die vier Freunde gemeinsam getan, wie aneinandergewachsene Vierlinge.
»Du bist so wortkarg, Alf?« sagte Petra Erlanger, als sie nach einem Ritt durch den Sonntagnachmittag in der Nähe der Waldhüterhütte im Gras saßen und über das gewellte Land sahen. Durch die Stille des Sommertages hallte ganz weit und dumpf ein Schlagen. Auf den Plätzen des Tennisklubs Grün-Weiß wurde gespielt.
»Ärger, Alf?« fragte Petra, als Boltenstern schwieg. Sie legte die Hand auf sein Knie, und er nahm sie und führte sie wortlos an seine Lippen.
»Jutta macht mir Sorgen«, sagte er dann und hielt Petras Hand fest.
»Jutta ist ein liebes Mädchen.«
»Ich vergesse immer, daß sie schon dreiundzwanzig ist. Väter und auch Mütter sehen immer mit anderen Augen.« Boltenstern legte seine zweite Hand über die schmalen Finger Petras, als wären sie eiskalt und er müßte sie wärmen. »Sie sollte sich heute vormittag verloben!«
»Sollte?« In Petra Erlangers Stimme schwang ehrliches Erschrecken. »Hat … hat es einen internen Skandal gegeben, Alf?«
»Skandal? Nein! Der junge Mann … unser Werner Ritter … hat seinen Vater geschickt und absagen lassen.«
»Und Konrad Ritter hat das getan?« rief Petra.
»Was sollte er machen? Die Begründungen sind fadenscheinig. Es war ein schlimmer Morgen für mich.«
»Und Jutta. Das arme Mädchen …«
»Das arme Mädchen gibt ihrem Bräutigam recht und steht auf seiner Seite. Zum erstenmal habe ich meine Tochter nicht erkannt! Zum erstenmal überhaupt habe ich gesehen, daß meine Tochter mir entglitten ist. Das hat mich erschüttert.« Alf Boltenstern streichelte die kalte Hand Petras. Es sah aus, als täte er es unbewußt oder aus Nervosität. »Da habe ich beschlossen, wegzufahren, einfach die Zelte abzubrechen, für ein paar Wochen andere Menschen zu sehen, eine heitere Landschaft, Palmen und Rosen, ein blaues Meer und weiße Segel, unbeschwerte Leute, denen die Zeit kein Begriff ist, die leben, wie es die Sonne oder der Regen will, der Wind oder die See. Ich habe an Rhodos gedacht. An die Roseninsel, die keine Jahrhunderte kennt.« Boltenstern sah Petra Erlanger mit glänzenden Augen an. Irritiert erwiderte sie seinen Blick. »Was hältst du von Rhodos, Petra?«
»Ich kenne es. Mit Richard bin ich für zwei Wochen hinübergeflogen. Vor vier Jahren …«
»Wo warst du mit Richard eigentlich nicht?« Boltenstern ließ abrupt ihre Hand los. Es war das erstemal, daß der Name Erlangers zwischen ihnen fiel. »Könntest du dir vorsteilen, mit mir ein anderes Rhodos zu sehen? Was hat Richard auf Rhodos getan?«
»Drei Konferenzen geleitet und das Zimmermädchen vom ersten Stock verführt, während ich segeln war«, sagte Petra bitter. »Wir sind dann weiter nach Kairo geflogen. Dort hatte er sechs Konferenzen und ein Verhältnis mit einer Fellachin, die im Basar Seidenschals verkaufte.« Petra hob die Schultern, als Boltenstern den Arm um sie legte. Ein Trost, der gar nicht nötig war. »So war Richard eben! Die Frauen flogen zu ihm wie die Motten, und Richard war ein Mensch, der Angebote nie ausschlug. Deshalb galt er in der Gesellschaft auch als eine Art Wunderknabe.«
»Und du hast ihn trotzdem geliebt?«
»Ja.«
Das klang schlicht, aber entschieden. Boltenstern erhob sich, klopfte Grashalme von seiner Reithose und kleine Lehmklumpen vom Sitzleder. Dann zog er Petra Erlanger hoch und holte mit spitzen Fingern einen kleinen Ast aus ihren goldblonden offenen Haaren. Wie jung sie aussieht, dachte er dabei.
»Nun ist Richard tot!« sagte er fast grob. »Und wir fahren nach Rhodos! Wir allein, Petra! Ich verspreche dir, daß du von Rhodos eine andere Erinnerung mitbringst als vor vier Jahren.«
Sie gingen zu den Pferden, die zwischen den Bäumen standen und die Köpfe aneinander rieben.
»Wann fliegen wir, Alf?« fragte Petra Erlanger, als sie an ihrem weißen Pferd stand.
»Wenn du willst, schon morgen!«
»Ich
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