Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
getanzt, man flirtet … es hat sogar schon drei Ehen in der Klinik gegeben!«
    Schreibert sah auf seine Hände. Sie zitterten leicht.
    »Mein Gesicht sieht schrecklich aus«, sagte er leise. »Sie werden alle erschrecken.«
    »Keiner wird das!« Dr. Hellerau gab Schreibert jetzt erst die Hand und fuhr dann mit seinen Fingern über die Gummimaske Schreiberts.
    »Woher haben Sie die?« fragte er.
    »Von Dr. Laurenz.« Schreibert tastete ebenfalls über die starre, glänzende, künstliche Haut. »Ist sie nicht gut?«
    »Für die Fahrt hierher war sie brauchbar. Aber bei uns stellt man andere Ansprüche. Bitte, kommen Sie mit.«
    Dr. Hellerau ging voraus, und Schreibert folgte ihm durch drei ineinandergehende Zimmer, bis sie in einen länglichen Raum kamen. Es war ein helles Zimmer, die Sonne flutete grell durch die Scheiben. Mit einem leisen Aufschrei prallte Schreibert an der Tür zurück.
    Ein zusammengeballter Haufen Köpfe starrte ihn an.
    Köpfe auf hölzernen Stielen.
    Köpfe mit lebenden Gesichtern, mit wunderschönen Mienen, Köpfe von vollkommener Schönheit.
    Auf der linken Seite standen die Frauen, auf der rechten die Männer. Auf besonderen Kopfpuppen flatterten die Haare der Perücken im Zugwind, den sie mit dem Öffnen der Tür hereinbrachten.
    »O Himmel!« stammelte Schreibert und lehnte sich an die Wand. »Gesichter!«
    Dr. Hellerau nickte. Er ging mitten unter seine gestielten Köpfe und winkte Schreibert, näher zu kommen. Aber Schreibert war nicht fähig, auch nur einen Schritt zu gehen. Mit zuckenden Lippen starrte er auf die Masken, auf dieses künstliche Leben aus bemaltem Gummi, auf diese glatte Menschenschönheit aus der Retorte.
    »Sie können sich auswählen, wie Sie von heute ab aussehen werden«, sagte Dr. Hellerau und machte eine weite Handbewegung über die künstlichen Gesichter. »Allerdings muß das Gesicht etwas zu Ihrem Typ passen. So würde ich ihnen zum Beispiel Südländer oder ein Gesicht mit einem flotten Menjoubärtchen nicht raten.«
    Schreibert stand, etwas verkrümmt, die Hände ineinander verkrampft, noch immer an der Wand. Der Wald von Köpfen ließ ihn im Grauen erstarren.
    »Wie … wie das Museum eines Scharfrichters ist es …«, sagte er kaum hörbar. »Die … die gesammelten Köpfe der Hingerichteten …«
    »Ich lasse Sie jetzt allein, Herr Schreibert.« Dr. Hellerau nickte ihm freundlich zu. »Jeder neue Patient hat diesen Schock zu überwinden. Aber morgen schon ist alles überwunden. Schon heute abend beim gemeinsamen Essen werden Sie sehen, daß alle unsere Gäste sich ihre Gesichter hier ausgesucht haben. Und sie sind glücklich. Sie werden es auch sein, Herr Schreibert.«
    »Bitte, gehen Sie nicht, Doktor …«, stammelte Schreibert. »Lassen Sie mich nicht allein mit diesen Köpfen … bitte …«
    »Es ist besser, wenn Sie sich völlig allein Ihr neues Gesicht aussuchen.« Dr. Hellerau schloß im Hintergrund eine andere Tür auf, und Schreibert war in Versuchung, aufzuschreien und wegzulaufen. »Hinter dem Schrank mit den Perücken ist ein großer Spiegel … dort können Sie Ihr neues Gesicht probieren und begutachten. Denken Sie daran, wie Sie früher aussahen … Sie werden das Passende für sich finden.«
    Und dann war Hermann Schreibert allein.
    Zweiundfünfzig Männerköpfe und dreiundzwanzig Frauenköpfe umgaben ihn. Er hatte sie gezählt, noch immer an der Wand lehnend, wie festgeklebt vom Grausen vor diesen künstlichen Gesichtern, von denen jedes zu leben schien, die so wirklich waren, daß Schreibert auf das Öffnen der Lippen wartete, auf ein Blinzeln der Augen, auf ein Zucken der Wimpern, auf ein Niesen oder Husten oder Räuspern oder helles Frauenlachen.
    Er wußte nicht, wie lange er noch an der Wand stand, bis er die Kraft in sich spürte, ein paar Schritte zu gehen und näher an die aufgespießten Köpfe heranzutreten. Und dann plötzlich fiel der Bann von ihm ab, und eine ohnmächtige, blinde, haßgeladene, vulkanische Wut über sein Schicksal erfaßte ihn. Er stöhnte auf, riß sich seine ›Reisemaske‹ vom Gesicht, fuhr sich mit beiden Händen über das abgeschabte Gesicht und fühlte unter seinen Fingerspitzen die Schrunden und Narben und die Haut, die sich wie ein altes zerknittertes Pergament anfaßte. Und dann ging er herum, zwischen den gestielten Köpfen, von Reihe zu Reihe, hin und her, und kreuz und quer und wieder zurück, und jedesmal hob er die Hand und schlug auf den Kopf vor sich ein, gab ihm eine Ohrfeige, prügelte ihn,

Weitere Kostenlose Bücher