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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schrie die glatten Gesichter an und gebärdete sich wie toll.
    »Ich will ein Mensch bleiben!« schrie er. »Ich bin keine Maske! Ich lebe! Ich lebe! Ich bin kein Kopf auf einem Holzstiel, der plötzlich Beine hat und gehen kann! Ich bin Schreibert! Hermann Schreibert! Schreibert!«
    Und er machte wieder seine Runde, ging von Kopf zu Kopf, und schrie in die vollendet hübschen Gesichter hinein.
    Nach einer Stunde war er erschöpft und schlaff. Er setzte sich auf einen Hocker mitten unter die Köpfe und starrte auf den blanken Kunststoffboden. Nach der sinnlosen, zerstörerischen, aber befreienden Wut überfiel ihn wieder die ganze Trostlosigkeit seines Daseins und die Erkenntnis, daß er den künstlichen Gesichtern nicht ausweichen konnte, wie es auch die anderen Gäste in der ›Bergwald-Klinik‹ nicht getan hatten. Auch sie hatten das Grauen in dieser Kopfkammer überwunden und waren dann herumgegangen und hatten ihr künftiges Gesicht ausgesucht. Das Gesicht, mit dem sie in den nächsten Jahren leben mußten, bis unter der Gummimaske nach ungezählten kleinen, langwierigen Operationen wieder ihr normales menschliches Gesicht entstand, ein Geschenk aus der Hand des Chirurgen, der mehr Künstler als Arzt sein mußte.
    Hermann Schreibert stand von seinem Hocker auf.
    Sein Herz schlug ganz ruhig, als er begann, die Gesichter kritisch zu betrachten. Immer wieder schritt Schreibert durch die Kopfreihen. Er war sich unschlüssig. Mit einem Gesicht, das man von Geburt an hat, das mit einem wächst und sich verändert und reift und alt wird, ist man zufrieden, weil man's nicht ändern kann. Aber sich ein Gesicht aussuchen, mit dem man fortan leben muß, ist eine Aufgabe, die Schreibert unterschätzt hatte, als er seinen Rundgang durch die Köpfe begann.
    Schließlich blieben drei Gesichter in engerer Wahl, und Schreibert trug die drei ausgewählten Masken zum Spiegel. Nacheinander zog er die Masken über seinen zerstörten Kopf, und es war ein sonderbares, unbeschreibliches Gefühl, einen anderen Menschen im Spiegel zu sehen, einen schönen, verjüngten und immer so jung bleibenden Menschen, und es doch selbst zu sein. Hermann Schreibert, von dem man einmal sagte, er habe ein genüßliches Gesicht mit einem süffisanten Lächeln.
    Wie lange war das her? Ein paar Wochen? Jahre? Jahrhunderte? Wer weiß noch, wie Hermann Schreibert aussah? Wer kann ihn aus dem Gedächtnis malen? Na? Niemand konnte es. So wenig wert ist ein Gesicht in der Erinnerung …
    Hinter Schreibert klappte wieder die Tür, als er sich für die zweite der ausgewählten Masken entschieden hatte. Es war ein etwas schelmisches, lächelndes, gutmütiges Gesicht mit einer mittelgroßen, geraden Nase und ein klein wenig sinnlichen Lippen. Das Gesicht eines Lebenskünstlers und Weintrinkers, eines Mannes mit Erfahrung … und doch das Gesicht ewiger, glatter, von keinen Lebensrunen durchzogener männlicher Schönheit, wie sie so vollendet von Gott nie geschaffen werden konnte.
    »Das ist es?« fragte Dr. Hellerau hinter ihm. Schreibert nickte.
    »Ja.«
    »Es gefällt mir, daß Sie sich gerade dieses Gesicht ausgesucht haben. Es paßt zu Ihnen … ich habe die Fotos Ihres echten Aussehens genau studiert. Die meisten greifen zu dem Typ ›schöne, südländische Männer‹, und es kostet Mühe, sie davon abzubringen, wenn es nicht ihrem Naturell entspricht.« Dr. Hellerau strich mit beiden Händen mehrmals über die Maske und glättete damit die letzten, fast unsichtbaren Fältchen. »Das müssen Sie immer so machen, Herr Schreibert. Ganz glatt streichen. Das dünne Gummi saugt sich an wie eine zweite Haut. Sie werden sehen … sogar ein Mienenspiel ist möglich …«
    »Unheimlich …«, flüsterte Schreibert und starrte sein neues Ich an. »Unheimlich, Doktor …«
    »Eine amerikanische Erfindung. Ich glaube, so etwas konnte auch nur dort erfunden werden. Wir in Europa haben nicht mehr die innere Kindlichkeit, die zu solchen Erfindungen nötig ist.« Dr. Hellerau stellte sich neben Schreibert an den Spiegel. Der Mann mit dem neuen, nie alternden Gesicht und der Arzt sahen sich durch den Spiegel an.
    »Ist die Entscheidung endgültig?« fragte Dr. Hellerau.
    »Ja, Doktor!«
    »Einen Wechsel gibt es nicht. Sie werden nachher beim Abendessen den anderen Gästen vorgestellt mit diesem Gesicht, und Sie müssen es behalten, bis Sie wieder von uns weggehen.«
    Hermann Schreibert nickte mehrmals. »Ich bleibe dabei, Doktor«, sagte er dumpf. »So … so schön habe

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