Zum Nachtisch wilde Früchte
ich noch nie ausgesehen.« Er wandte sich vom Spiegel weg und blickte über die Ansammlung der anderen Köpfe. »Wie sehen die anderen Gäste aus?«
»Schön! Bei uns gibt es nur schöne Menschen. Es ist gar nicht abzuschätzen, wie wichtig diese seelische Freude ist und wie tief sie sich bei den kommenden Operationen auswirkt. Ein Mensch, der schön ist, ist glücklich.«
»Davon bin ich noch weit entfernt, Doktor«, sagte Schreibert leise.
»Das glaube ich nicht.« Dr. Hellerau legte den Arm um ihn wie um einen alten Freund. »Sie ahnen gar nicht, wie schnell das Glück sein kann.«
Das Abendessen fand in der großen Halle am offenen Kamin statt. Neunundvierzig Gäste hatte die Klinik. Einundzwanzig Männer und achtundzwanzig Damen. Es war eine gepflegte, durchaus kultivierte Atmosphäre, als der Gong zum Speisen rief und aus den Zimmern die Patienten kamen, die Herren im Smoking und die Damen in herrlich, meist kurzen Gesellschaftskleidern.
Hermann Schreibert stand steif wie auf dem Kasernenhof vor dem Kamin, als Dr. Hellerau den neuen Gast allgemein bekannt machte. Ein gespenstisches Bild war es, die Herren und Damen in ihren Abendgarderoben im Licht der Kronleuchter zu sehen, eine Ansammlung herrlicher Gesichter, überhaucht vom Zauber nie angegriffener Jugend. Schreibert küßte Hände, wechselte unverbindliche Worte, nahm an einem Vierertisch Platz und plauderte von Düsseldorf, und sein Tischnachbar, ein großgewachsener Herr mit dem Gesicht eines spanischen Caballeros, berichtete von einem Ball in Monte Carlo, bei dem die Gräfin Aspergos plötzlich in den Dessous im Saal stand, weil jemand beim Tanzen auf die Schleppe ihres Abendkleides getreten war.
Schreibert lachte. Seine verkrampfte Stimmung löste sich. Kinder, es ist ja wie überall, dachte er plötzlich. Die gleichen Gespräche, die gleiche Hohlheit im Wortschatz, die gleichen Fragen, die gleichen Erlebnisse, die gleichen Probleme …
Und Hermann Schreibert fühlte sich wohl, fühlte sich wie zu Hause inmitten der anderen Gummimasken und prostete dem ihn beobachtenden Dr. Hellerau zu.
Nach dem Essen wurde getanzt, und Schreibert erspähte eine junge, schlanke Dame mit langen blonden Haaren, die an der geschnitzten Bar saß, an der es nur Sekt und keinerlei scharfe Getränke gab. Jung, dachte Schreibert. Sie alle sehen jung aus … aber dieser Körper ist keine Gummimaske, dieser schlanke Körper ist echt und glatt und faltenlos. Sie mag Ende Zwanzig sein, man hat ein Auge dafür, wenn man jahrelang Mannequins für die Modeschauen aussuchte und ihre Körper so sah, wie sie in französischen Magazinen stehen. Ende Zwanzig, und die langen, blonden Haare sind auch echt. Sie leben, sie funkeln im Kerzenschein, sie glitzern voll innerer Spannung. Keine Perücke kann das.
Und dann tanzte Schreibert. Ein guter Tänzer war er, fast so gut wie Richard Erlanger es gewesen war; nur tanzte Schreibert enger, auf Tuchfühlung, auf Körperwärme, wie er scherzend sagte, denn tanzen, so lautete eines seiner Stammbonmots, ist Ausdruck des im Rhythmus liebenden Leibes, der eine Umarmung mit der Musik eingeht.
Die junge Dame mit den langen blonden Haaren lag in seinen Armen mit einer Schwerelosigkeit, die Schreibert begeisterte. Ein Schweben war's, aber daß sie keine verkleidete Feder war, spürte er an dem Druck ihrer Brüste und an der Wärme, die von ihrem Körper durch seinen Smoking auf seine Haut drang. Eine Wärme, die ihn verwirrte, glücklich machte und jene Unruhe in ihm weckte, die zu seinen schönsten Gefühlen gehörte.
»Schreibert«, sagte er, als eine neue Platte aufgelegt wurde und sie wartend auf der Tanzfläche standen. »Hermann Schreibert. Ich bin beglückt, an dem ersten Abend gerade Ihnen begegnet zu sein.«
Das Mädchen mit dem Gummigesicht einer venezianischen Madonna lächelte. Wirklich, die Maske verschob sich, ihr schöner Mund lächelte, ein sanftes, stilles, vollendetes, wie von da Vinci gemaltes Lächeln. Entgeistert starrte Schreibert auf diesen Mund und auf diese wie eine echte Haut mitgehende Gummihaut. Man hat mit einiger Übung ein Mienenspiel, hatte Dr. Hellerau gesagt. Hier sah es Schreibert … ein lebendes Gesicht aus der Retorte.
»Ich bin Corinna Colman«, sagte sie. Eine helle, wohlklingende Stimme hatte sie, mit einem kindlichen Unterton, der Schreibert noch mehr davon überzeugte, daß sie jung sei, so jung wie ihre Maske. »Sie sind neu hier, und deshalb nehme ich Ihnen nicht übel, daß Sie solche dummen
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