Zum Tee in Kaschmir
wir, dass Lasoo eine besondere Art von Magie beherrschte, die ihn jederzeit vom Dienstboten zum Spielkameraden und Beschützer verwandeln konnte. Er konnte mir nichts, dir nichts ein groÃartiges Spielzeug oder ein köstliches Sandwich mit kaltem Lammfleisch und MinzsoÃe herbeizaubern, und man konnte ihm jedes Geheimnis anvertrauen. Die Augen in seinem schmalen und knochigen Gesicht blitzten stets amüsiert, wenn wir Kinder herumalberten, und der SpaÃ, den wir miteinander hatten, machte es uns leichter, das mürrische Temperament unserer alternden Nanny zu ertragen. Auf Lasoo konnten wir uns immer verlassen. Er war immer zu einem Brettspiel bereit, wenn wir ihn darum baten, wohingegen unsere Nanny meine Haare zu so festen Zöpfen flocht, dass meine Kopfhaut weh tat.
Mein Vater hatte für unsere Reise ein Privatabteil reservieren lassen. Da er Beamter war, standen ihm gewisse Privilegien zu. Neben unserer Kleidung wurden Körbe mit Essen, Thermoskannen mit gekühltem Trinkwasser und frisches Obst in unserem Abteil verstaut, das mit zwei gepolsterten Sitzbänken und zwei darüberliegenden Schlafkojen ausgestattet war. Ein groÃer Ventilator kreiste langsam an der Decke, da es zu jener Zeit noch keine Klimaanlagen gab.
Die Fahrt würde mehr als achtundzwanzig Stunden dauern. Meine Mutter hatte für die lange Reise eines unserer Lieblingsbrettspiele eingepackt, auÃerdem hatte sie eine groÃe Zinkwanne gekauft. Ich hatte zwei Enyd-Blyton-Bücher dabei, ein paar harte amerikanische Kaugummikugeln und eine kleine Papiertüte, in der ich heimlich noch etwas ganz Besonderes mitgeschmuggelt hatte: drei übergroÃe, wilde rote Mandeln. Unsere Mutter hatte uns nämlich verboten, diese Frucht zu essen, weil wir, ihren Worten zufolge, davon einen wunden Hals bekämen. Wenn man die Mandeln jedoch mit etwas Salz und schwarzem Pfeffer bestreute, verwandelte sich das saure Fruchtfleisch in eine zwar immer noch säuerliche, aber nichtsdestotrotz unwiderstehliche Delikatesse. Ich fand das Ganze vor allem deshalb so spannend, weil ich die Meinung meiner Mutter, mit der ich ohnehin nie übereingestimmt hatte, heimlich widerlegte. AuÃerdem liebte ich Dinge, die ungewöhnlich schmeckten.
Wenige Minuten bevor der Zug den Bahnhof verlieÃ, wurde noch ein groÃer Block Eis ins Abteil gebracht und in die Zinkwanne gelegt, die auf dem Boden direkt unter dem Deckenventilator stand. Die vom Eis aufsteigende kühle Luft wurde vom Ventilator an der Decke herumgewirbelt. Die gesamte Vorrichtung erfüllte somit die Funktion einer, wenn auch primitiven, Klimaanlage. Lasoo nahm ein paar Hand voll kleiner Mangos aus einem Weidenkorb und legte sie auf den Eisblock. Meine Mutter hatte ihm diese besondere Leckerei mitgegeben, wahrscheinlich, um uns abzulenken und so zu verhindern, dass wir Heimweh bekamen.
Als sich der Zug dann endlich in Bewegung setzte und unsere winkenden Eltern immer kleiner wurden, gelang es den Mangos tatsächlich schnell, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Mit der chussi , oder Saftmango, verhielt es sich ähnlich wie mit einer in kleine Stücke zerteilten Tafel Schokolade: Es waren mindestens sechs oder sieben davon nötig, um eine Portion zu ergeben. Man konnte die kleine, leuchtend gelbe Frucht von etwa zehn Zentimetern Länge, nur auf eine einzige Art und Weise essen: Zuerst musste man sie vorsichtig kneten, um das Fruchtfleisch von dem faserigen Netz zu lösen, dann stach man ein kleines Loch hinein und saugte zuerst den Saft und schlieÃlich das Fruchtfleisch heraus. Mein auf die Esskultur bedachter Vater hatte deshalb dieser Frucht den Spitznamen »Badezimmer-Mango« gegeben. Wenn er sah, wie uns der Saft über das Kinn lief und kleine Stückchen des gierig herausgesaugten Fruchtfleischs in alle Richtungen davonflogen, dachte er unwillkürlich an Seife, Wasser und Schadensbegrenzung. Meine Mutter andererseits hatte unsere Lieblingsleckerei wohl ganz bewusst gewählt, um uns eine Freude zu machen und uns zu trösten.
Die chussi gehört zu den über dreiÃig Sorten sowohl wild wachsender wie auch kultivierter Mangos, die man im Land findet. Mangos werden nicht nur als Obst gegessen, sondern auch in Ãl eingelegt und als würzige Beilage serviert. Oft werden sie auch getrocknet und zu einem feinen Pulver zermahlen, das als Gewürz für Gemüse verwendet wird. Dieses saure Pulver, das amchur genannt wird,
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