Zum Tee in Kaschmir
Motorhaube seines kleinen grauen Wagens festzurrte und Lasoos wiederholte Bitten, langsam zu fahren, konsequent ignorierte. Der Taxifahrer versuchte den Fahrpreis dadurch zu erhöhen, dass er einen Umweg durch die überfüllten Bazare nahm, wo wir mehrmals nur knapp einem Zusammenstoà mit einem Bus oder einer Pferdekutsche entgingen. Als er schlieÃlich vor dem Haus unserer GroÃmutter anhielt, stiegen wir mehr als nur erleichtert aus dem Taxi.
Es war dies ein vertrauter Ort. Aber ich war ein paar Jahre älter als bei unserem letzten Besuch und wusste inzwischen mehr über das Zuhause, das meine Familie oft auch einfach nur nach seiner Adresse benannte: H196 Murree Road, Rawalpindi. Bezüglich der Ansprüche, die meine GroÃmutter geltend gemacht hatte, weil sie in Kaschmir, das jetzt zu Indien gehörte, ihren Grundbesitz verloren hatte, war von der pakistanischen Regierung willkürlich und im Eilverfahren entschieden worden. Der Prozess und die Tatsache, dass sich meine GroÃmutter weigerte, in ein Zuhause umzuziehen, das sie verdiente, waren für meinen Vater eine Quelle groÃer Sorge. Bashirabad, das schöne verwinkelte Holzhaus in Srinagar, war jetzt durch ein einstöckiges Ziegelgebäude vom älteren Typ haveli ersetzt worden, das am Ende einer schmalen Gasse stand. Die schwere hölzerne Eingangstür öffnete sich zu einem Innenhof, um den herum die Zimmer angeordnet waren, wobei sich die Küche, das Wohnzimmer und das Esszimmer im Erdgeschoss befanden, während die Schlafzimmer im oberen Stockwerk lagen.
Als ich in den Hof rannte, schloss mich meine GroÃmutter fest in ihre Arme und hüllte mich dabei in eine Wolke aus himmelblauer Seide ein. Sie hatte ihre Haare zu einem glänzenden Zopf geflochten und verströmte einen kaum wahrnehmbaren Duft, der, wie ich später erfuhr, von einer Kardamomkapsel kam, die sie in ihre Backe geschoben hatte, um so auf natürliche Weise ihren Atem zu erfrischen. Sie sah mich genau an, als wäre ich ein Stück Obst, das sie auf Druckstellen prüfen wollte. AnschlieÃend strich sie mir übers Haar und sagte, dass ich sehr gewachsen sei und aufrecht gehen sollte. Mit einem schelmischen Funkeln in den Augen meinte sie dann, dass in der Küche eine Schachtel mit Sahnehörnchen auf mich warte. Ich war hin und her gerissen, da mir meine Mutter immer wieder gesagt hatte, dass es sich nicht gehörte, gleich loszurennen, wenn es etwas zu essen gab. Also nickte ich strahlend, rührte mich aber erst einmal nicht von der Stelle. Ein kleiner, ermunternder Klaps zwischen meine Schultern signalisierte mir jedoch, dass ich ohne Rücksicht auf irgendwelche lästigen Anstandsregeln in die Küche laufen durfte.
Meine GroÃmutter hatte die luftigen Teighörnchen, die mit geschlagener Sahne gefüllt waren, in einer Bäckerei bestellt, die ganz in der Nähe lag, um meiner englisch geprägten Erziehung im Tausend Meilen entfernten Karatschi Rechnung zu tragen. Es hatte aber auch etwas damit zu tun, dass meine GroÃmutter die gute Küche jeder Kultur schätzte und somit auch für das Erbe, das die französischen und britischen Köche im besetzten Indien der Vergangenheit hinterlassen hatten, zugänglich war. In diesem Augenblick wussten wir jedoch noch nicht, dass ich Jahre später in meinem kanadischen Zuhause versuchen würde, die Speisen, die in ihren Töpfen kochten und die sowohl eine Familien- als auch eine Kulturgeschichte vermittelten, noch einmal zu erschaffen.
Meine beiden damals noch jungen und unverheirateten Tanten und mein ebenfalls noch unverheirateter Onkel lebten im Hause meiner GroÃmutter, wo sie merkwürdig geschnittene Schlafzimmer bewohnten. AuÃerdem waren noch drei weitere Tanten, die in benachbarten Städten lebten, gekommen, um uns willkommen zu heiÃen. Die Namen der Tanten begannen alle mit der Vorsilbe Dil, was Herz bedeutet. Ich hatte diese Namen immer wieder laut vor mich hin gesagt, um sie mir einzuprägen, musste dann aber feststellen, dass jede Tante auch noch einen Spitznamen hatte. Die Kosenamen, die ihnen meine GroÃmutter gegeben hatte, waren sowohl voller Humor als auch voller Zärtlichkeit.
Die im Hause meiner GroÃmutter lebenden Tanten waren beide Anfang Zwanzig. Die Ãltere, Dil-Nashin, studierte an der Universität. Sie rauchte heimlich und band sich immer kunstvolle Satinbänder in ihre langen Zöpfe. Sie war
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