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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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schlank und besaß eine königliche Haltung. Die Jüngere, Dil-Ara, hatte Augen, so groß wie Untertassen und einen wesentlich robusteren Körperbau als Dil-Nashin. Sie hatte sich entschieden, Trainerin bei den Pfadfinderinnen zu werden. Sie war sehr lebhaft und auch sehr sportlich. Sie nahm mich, ohne dass meine Großmutter etwas davon wusste, heimlich mit auf die Dachterrasse, die wir Kinder eigentlich nicht betreten durften. Dort erklärte sie mir dann mit umwerfender Nonchalance, wie man sich an einem starken Seil in den Hof hinunterlassen konnte, wenn man an den richtigen Stellen Knoten hineingeknüpft hatte.
    Meine jugendlichen Tanten, die mir im Grunde mehr wie amüsante ältere Schwestern vorkamen, faszinierten mich sehr, und ich saß stundenlang an ihren Frisierkommoden und hantierte mit den Puderdosen aus Porzellan, auf denen weiche Quasten lagen. Manchmal stöberte ich auch in ihren mit Glastüren versehenen Bücherschränken herum. Und dennoch: Es war die Küche meiner Großmutter, die den größten Reiz auf mich ausübte. Meine Großmutter saß in diesem langgestreckten Raum, der durch den Schein der Herdfeuer fast wie ein Filmstudio ausgeleuchtet wurde, auf einem Schemel aus geflochtenen Binsen und kochte. Neben ihr stand ihre Küchenhilfe, die Fleisch hackte, Gemüse klein schnitt oder in einem großen schwarzen Steinmörser verschiedene Gewürze malte und ihr diese Zutaten dann und wann anreichte. Meine Großmutter sah sich die Platten mit geschnittenem Fleisch und Gemüse bedächtig und sehr genau an. Wenn ich in die Küche ging, bat mich meine Großmutter stets, auf einem Schemel ihr gegenüber Platz zu nehmen. Sie behandelte mich dann immer wie einen bevorzugten Gast und gab mir kleine Häppchen in den verschiedensten Stadien der Zubereitung zu kosten, stets mit der Mahnung verbunden, mein hübsches Kleid nicht zu bekleckern.
    Ich war auch der Liebling meines Onkels Zahir, eines groß gewachsenen, gut aussehenden Mannes mit welligem, kastanienbraunem Haar. Er zog mich meinen Geschwistern vor und redete mit mir, als wäre ich seinesgleichen. Über seinen Wolljacken trug er stets lange, dicke Schals. Außerdem hatte er ganz ausgezeichnete Manieren. Wenn er längere Zeit außer Haus war, besuchte er, so hieß es jedenfalls, meistens das hiesige Kino. Er las unglaublich viel, und sein Bett war stets von etlichen Stapeln Bücher, Zeitschriften und Zeitungen umgeben. Als meine Großmutter über das Schlafzimmer meines Onkels sprach, das niemand aufräumen durfte, vernahm ich zum ersten Mal einen müden, resignierten Unterton in ihrer Stimme. Mein Onkel arbeitete bei einem politisch orientierten Radiosender, der Voice of Kashmir , in dem die Kaschmirer in Pakistan nicht müde wurden, ihre Solidarität mit jenen zu bekunden, die sich entschieden hatten, in Indien zu bleiben.
    Eines Tages hielt mir mein Onkel einen faszinierenden Vortrag über die perfekten Knöchel des amerikanischen Filmstars Marilyn Monroe und über die Werke des britischen Schriftstellers D. H. Lawrence. Gerade als er sagte, dass ich, wenn ich ein paar Jahre älter sei, unbedingt Lawrences Romane lesen sollte, um die Geheimnisse der Liebe zu entdecken, wurde ich durch laute Geräusche im Hof aufgeschreckt. Ich entschuldigte mich hastig bei ihm und rannte dann die Treppe hinunter.
    Unten angekommen sah ich einen großen Mann neben meiner Großmutter im Hof sitzen, die gerade merkwürdig aussehende beige Röhren aus einem Strohkorb zog. Dann legte sie sie geradezu ehrfürchtig auf eine Servierplatte aus Metall. Schließlich nahm sie noch einen Strauß kleiner grüner Blätter aus dem Korb. Ich sah, wie sie das Sträußchen vor ihr Gesicht hielt und dann tief einatmete. Es war Bockshornklee, ein Kraut, das sowohl Fleisch- als auch Gemüsegerichten einen scharfen, lang anhaltenden Duft verleiht.
    Meine Großmutter winkte mich zu sich und teilte mir mit, dass es heute Lotoswurzeln mit Bockshornklee zum Mittagessen geben würde. Ob ich schon einmal eine Lotosblume gesehen hätte? Als ich den Kopf schüttelte, sah ich, wie ein Schatten über ihr Gesicht zog. In diesem neuen Paradies, sagte sie, und meinte damit unsere neue Heimat Pakistan, müssen wir an besonderen Orten suchen, um uns selbst zu finden. Dann erzählte sie mir, dass im Dal-See im kaschmirischen Ort Srinagar, nur ein kleines Stück

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