Zum Tee in Kaschmir
zu Fuà von Bashirabad entfernt, Lotos wuchs. Aber auch in verschiedenen Teichen etwa hundert Kilometer auÃerhalb der Stadt Rawalpindi wuchs Lotos.
Die Lotosblüte hat, genau wie die Mango, schon immer die Formensprache der Künstler inspiriert. Im Hinduismus ist der Lotos das Symbol der Schöpfung und steht für das Leben, das auf der Oberfläche des Wassers schwimmt. Das Erste, was der überaus liberal eingestellte Mogulherrscher Akbar im Sinne der Assimilation tat, war, eine hinduistische Frau zu heiraten und der Blume, die in ihrer Kultur so groÃe Bedeutung hat, seine Verehrung zu zollen. Die Lotosblüte ist auf vielen Gemälden der Mogulzeit zu sehen, auÃerdem wurde sie auch zu einem beliebten Motiv in der Architektur. Im Tadsch Mahal, dem Palast, den Schah Dschahan erbauen lieÃ, um die Liebe zu seiner Frau zu manifestieren, erhebt sich eine von einer Lotosblüte gekrönte Marmorsäule.
Ich hatte Lotosblumen bisher nur auf Fotos gesehen. Was meine GroÃmutter über den Lotos erzählte, lieà erahnen, wie selten und schön diese Blume ist, dennoch hat ein Geschenk in Form von Lotoswurzeln noch eine tiefere Bedeutung, die zu verstehen ich damals noch zu jung war.
Als ich später am Mittagstisch saÃ, starrte ich die Terrine mit den Lotoswurzeln nervös an, während ich mich mit dem Gedanken anzufreunden versuchte, dass ich gleich etwas essen sollte, was unter Wasser wuchs. Meine GroÃmutter beobachtete mich dabei ganz genau. Es war bestimmt nicht ihre Art, ihren Enkelkindern irgendetwas aufzuzwingen, dennoch spürte ich in diesem Moment, wie sie mich stumm herausforderte. Sie schien mir in Gedanken die Botschaft vermitteln zu wollen, dass sich in diesem Gericht etwas sehr Bedeutsames verbarg, und sie fragte sich offensichtlich, ob ich in der Lage wäre, es zu entdecken. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wunderschöne Lotosblüten aus dem Esstisch herauswuchsen, fand es aber überaus schwierig, in meiner Fantasie bis zu ihren Wurzeln unter Wasser vorzudringen. Trotz des anerkennenden Gemurmels ringsum am Tisch lieà mich die Angst nicht los. Was war, wenn mir schon der erste Bissen nicht schmeckte? Wie sollte es mir nur gelingen, das vor meiner GroÃmutter, die ich doch nur erfreuen wollte, zu verbergen?
SchlieÃlich nahm ich den Servierlöffel und gab eine einzige Spirale Lotoswurzeln mit etwas SoÃe auf den Reis auf meinem Teller. Als ich den ersten Bissen im Mund hatte, explodierten geradezu zwei einzigartige Aromen auf meiner Zunge. Es sollte noch mindestens zwei Jahrzehnte dauern, bis es mir gelang, diese perfekte Verbindung der Aromen zu identifizieren. Der leichte, stroh-ähnliche Geschmack der weichen Fasern verband sich auf höchst wunderbare Weise mit dem des scharfen Krautes. Die luftige Konsistenz des Gerichts selbst war einfach köstlich - der erste Bissen hatte beinahe etwas Existentielles an sich, da er gleichzeitig sowohl alles als auch nichts war.
Mit der Zeit liebte ich dieses Gericht immer mehr, denn ich war Zeuge geworden, dass das verlorene Paradies meiner GroÃmutter ihr öfter offen stand, als sie sich vorstellte. Für meine GroÃmutter waren die Spiralen von Lotoswurzeln, die in der SoÃe schwammen, mit wehmütigen Erinnerungen gewürzt. Hier offenbarte sich die emotionale Komponente der Kochkunst - denn meine GroÃmutter verwandelte mit ihren Händen einfache Nahrung in gelebte Geschichte.
Noch bevor unser Besuch zu Ende ging, servierte meine GroÃmutter uns ein weiteres unvergessliches Gericht und bewirkte damit, dass das Mittagessen für mich von nun an zur liebsten Mahlzeit des Tages wurde. Selbst im Erwachsenenalter galt für mich weiterhin, was meine GroÃmutter immer sagte, dass nämlich der Tag in seiner Mitte durch ein herrliches Essen akzentuiert werden sollte. Als ich Bekanntschaft mit der spanischen und römischen Kultur machte, deren Hauptmahlzeit das Mittagessen, gefolgt von einer langen Siesta ist, musste ich sofort an meine GroÃmutter denken.
Die Kreation jenes zweiten ebenso besonderen Mittagsmenüs und seine aufregenden Begleitumstände gingen als ein Höhepunkt in unsere kulinarische Familiengeschichte ein. Tamatar paneer ist ein kaschmirisches Gericht, bei dem ein in Scheiben geschnittener und angebratener Hüttenkäse, der einem festeren Büffelmozzarella ähnelt, zu einer SoÃe aus gewürzten frischen Tomaten gereicht wird. Der
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