Zum Tee in Kaschmir
Chutney in rauen Mengen aÃen, seien nichts anderes als dumme Esel. Auf ihrer Liste der Esel in unserer Familie stand dabei ihr alles überstrahlender Bruder Amir mit seiner gleichermaÃen skandalösen Sucht nach Chilipaste an erster Stelle. Als das Walnuss-Rettich-Chutney auch einmal bei ihr auf den Tisch kam, nahm ich mir nur einen kleinen Teelöffel davon und warf ihr selbst dabei schon einen nervösen Blick zu. Da stieà sie mir jedoch in einem seltenen Anflug von Nachsicht sanft in die Rippen und schob mir lachend die Schüssel zu.
Um dieses Chutney herzustellen, werden ein weiÃer Rettich, frische Walnüsse und frische rote Chilischoten in kleine Stücke geschnitten und dann miteinander vermischt. Das Chutney wird nicht zu einer Paste verarbeitet, sondern die Bestandteile werden nur grob zerkleinert, so dass das Ganze noch Biss hat und darin noch immer die kleinen Walnussstückchen zu erkennen sind. Der Geschmack dieser Chutneys ist einfach einzigartig, da es keinerlei Ãhnlichkeit mit den sonst üblichen Chutneys hat, die oft mit Koriander oder frischer Minze zubereitet werden. Dieses Chutney ist aber auch etwas ganz typisch Kaschmirisches, eben weil es Nüsse enthält.
Das Walsnuss-Chutney sollte tatsächlich als eine Art vegetarisches Gericht serviert werden und darf deshalb auch in gröÃeren Mengen gegessen werden. Dil-Khush vertrat jedoch die rätselhafte Ansicht, dass die kulinarische Ordnung niemals gestört werden dürfe, selbst wenn es sich dabei nur um eine bescheidene Gewürzpaste handele. Durch Selbstbeherrschung am Tisch demonstrierte man eine überlegene Intelligenz, die über das Gewöhnliche obsiegte. Wenn man einen Berg von Walnuss-Chutney zu den andern Dingen auf seinem Teller häufte, so konnte das als Hinweis darauf aufgefasst werden, dass einem von den anderen Gängen irgendetwas nicht schmeckte. Diesen Hinweis würde natürlich auch der Gastgeber verstehen, und das wiederum würde ihm groÃen Kummer bereiten. Dil-Khushs Philosophie des Essens basierte auf einer komplizierten Etikette, die einzig und allein das Ziel verfolgte, den Gästen Freude zu bereiten. Sie orientierte sich dabei unübersehbar an der Etikette der Moguln, aber sie hielt, genau wie Tante Shaad, mit einer gewissen Starrheit daran fest, so dass sich in ein Essen bei ihr stets auch ein ernster Zug mischte.
Dabei kommt mir immer wieder eines von Tante Khushs überraschenden Geständnissen in den Sinn. Als sie es ablegte, hatte ich das Gefühl, dass sie damit auch mein eigenes Geheimnis enthüllt hatte. Damals gestand sie mir mit schuldbewusster Miene und beinahe flüsternd, dass sie am liebsten das aÃ, was sie selbst gekocht hatte. Im Gegensatz zu meiner Tante Shaad fand sie meine Bitte um ihre Rezepte dann jedoch seltsamerweise wieder höchst amüsant. Als ich sie bat, zu warten, bis ich Stift und Papier geholt hatte, war ihre Reaktion äuÃerst verwirrend für mich. Genaue MaÃ- und Mengenangaben aufzuschreiben, so ermahnte sie mich, sei der völlig falsche Ansatz. Beim Würzen müsse man Fingerspitzengefühl beweisen, da Fleisch und Gemüse die Aromen der Gewürze in unterschiedlicher Weise aufnähmen. Eine Hand voll und eine Prise, das waren die Mengenangaben, mit denen sie arbeitete, während ich mir angewöhnt hatte, Messbecher und Waage zu verwenden.
Beim Kochen waren ihrer Meinung nach vor allem zwei Dinge von Bedeutung. Fehlte auch nur eines von ihnen, misslang das Gericht. Das Erste war Liebe, das Zweite andaaza , was »Schätzung« bedeutet. Als ich sie bat, mir zu erklären, wie man schätzen lernte, erwiderte sie mir, dass andaaza zum gröÃten Teil eine Sache der Erfahrung sei. Sie fügte noch hinzu, dass sich die Erinnerungen an Lebensmittel auf geheimnisvolle Weise in den Gehirnwindungen einnisteten und jederzeit hervorgeholt werden konnten. Entschlossen, mich durch ihre rätselhaften Antworten nicht irritieren zu lassen, fragte ich sie, was man tun müsse, wenn man sich doch einmal verschätzt habe und das Gericht nicht richtig gelungen sei. Sie erwiderte, dass man dann eben mit neuen Zutaten noch einmal von vorn anfangen müsse. Ich erzählte ihr daraufhin von meinem Leben in Kanada und sagte ihr, dass ich immer allein in der Küche stand und es niemanden gab, der mir beim Kochen zur Hand ging. Ich hätte also unmöglich Zeit, dasselbe Gericht noch einmal
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