Zum Tee in Kaschmir
was den Umgang mit Lebensmitteln betraf. Sie selbst sah das mehrstöckige Gebäude mehr als kleines Hotel, wo selbst das Frühstück für jede Person individuell zubereitet wurde.
Ihre Schwiegermutter übergab die Küche jede Woche einer anderen ihrer Schwiegertöchter. Und so plante, kochte und servierte Dil-Khush zusammen mit den Küchenhilfen das Essen für die vier Familien, die unter dem Dach des groÃen Hauses wohnten. Ihre beiden Schwäger aÃen zum Frühstück stets weich gekochte Eier, diese jedoch mit unterschiedlicher Kochzeit. Dil-Khush war stolz darauf, jeden Tag einem Schwager das gewünschte Zwei-Minuten-Ei servieren zu können, während der andere sein Drei-Minuten-Ei erhielt.
Eines Tages eröffnete sie mir dann, während sie mir direkt ins Gesicht sah, dass das Kochen der höchste Akt der Liebe sei. Sie hatte sich, als sie in das Haus ihrer Schwiegereltern kam, völlig verlassen gefühlt. Sie hatte ihre Heimatstadt Srinagar verloren, und ihre Geschwister lebten alle über ganz Pakistan verstreut. Dann hatte sie auf ihrer Flucht nach Lahore die Schrecken des Bürgerkriegs erlebt. Ihre Schwiegereltern hatten jedoch sehr feinfühlig auf ihre Lage reagiert und sie mit Zuneigung geradezu überschüttet. Der einzige Weg, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen, hatte für meine Tante darin bestanden, sie bei Tisch zu verwöhnen. Khush war fest davon überzeugt, dass sich alles, was man mit Liebe kochte, in ein wahres Festmahl verwandelte. Selbst ein einfaches Linsengericht konnte zu einer festlichen Delikatesse werden, wenn es mit Liebe zubereitet wurde.
Khushs Interesse am Kochen wurde durch die Vielfalt der Speisen, die im Hause ihrer Schwiegereltern zubereitet wurden, noch verstärkt. Sie nahm ihre Schwiegereltern vollends für sich ein, als sie das kaschmirische Repertoire, das sie aus ihrer eigenen Kindheit kannte, mit auf den Speiseplan setzte. Auch in ihrer jungen Ehe spielte das Essen eine groÃe Rolle. In den Wochen, in denen sie die Herrschaft über die Küche übertragen bekam, bereitete sie jeweils ganz besondere Gerichte zu, dies vor allem auch deshalb, um ihren Ehemann zu verwöhnen.
Wenn sie an ihre Kindheit in Bashirabad dachte, fielen ihr stets liebevolle Anekdoten mit ihren Eltern ein. Die legendäre Dil-Aram, ihre Mutter, war für sie eine wunderschöne Frau, die immer feine Kleidung und schönen Schmuck trug, und die ihre Augen mit Kajal umrahmte. Genau wie ihre anderen Geschwister konnte sie sich nicht daran erinnern, dass ihre Mutter ihr jemals etwas über das Kochen gesagt hätte. Khush konnte sich nicht einmal daran erinnern, ihre Mutter jemals beim Kochen oder Einkaufen von Lebensmitteln gesehen zu haben.
Schon als Kind war ihr aufgefallen, dass ihr Vater stets eine besondere, nur leicht gewürzte Kost bevorzugte. Irgendwann fand auch sie an dem Gemüse, das man ihm servierte, Geschmack. Ihr Vater war es auch, der ihr erklärte, dass man dem schwarzen Pfeffer eine besondere medizinische Wirkung zuschrieb und er vor allem bei Mandelentzündungen zum Einsatz kam. Khush begleitete ihren Vater oft bei kurzen Fahrten in die Stadt Sialkot, wo er ihr dann immer höchstpersönlich etwas zu Essen servierte. Der Mann, der seinen gesamten Haushalt einzuschüchtern vermochte, hatte ihr den Namen »die das Herz beglückt« gegeben, und auch später bestand eine besondere Beziehung zu eben gerade dieser Tochter. Als er einmal vom Pferd gestürzt war und sich an der Schulter verletzt hatte, schnürte ihm die kleine Khush die Schuhe zu. Sie wusste auch genau, in welche Jackentasche er seine Brille oder sein Taschentuch zu stecken pflegte.
Als Khush geheiratet hatte, war es ihre Schwiegermutter, die sie ermutigte, in der Küche zu experimentieren. Ihre Mutter Dil-Aram hatte sie lediglich ermahnt, mit leichter Hand zu kochen. Getadelt hatte sie Khush nur ein einziges Mal, und zwar, als sie für ein beliebtes kaschmirisches Chutney ihrer Meinung nach zu viele Walnüsse verwendet hatte.
Das kachmirische Walnuss-Chutney wurde, dies war jedenfalls Khushs feste Ãberzeugung, in unserer Familie nicht so gegessen, wie sich das eigentlich gehörte. Offensichtlich sahen einige Familienmitglieder dieses Chutney nicht als Gewürz, sondern beinahe schon als vegetarisches Hauptgericht an. Khushs Urteil über jene, die diese Torheit begingen, war absolut vernichtend: Menschen, die dieses
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