Zum Tee in Kaschmir
und verkündete, dass sie einen neuen Koch hätten. Es sei einer der Offiziere ihres Mannes, und sie wolle gehen und sehen, ob er die Kebabs auch so zubereitete, wie sie es ihm gesagt hatte. Ihr Ehemann schenkte ihr ein hingerissenes Lächeln. Mein Vater warf ihm daraufhin einen kurzen Blick zu und meinte, dass die Armee ja die Lebhaftigkeit seiner Lieblingsschwägerin zur Stärkung der Moral nutzen könne. Meine Mutter hingegen kommentierte das Herumgealbere ihrer jüngeren Schwester, die sie zwar vergötterte, aber nur selten sah, einfach mit einem strahlenden Lächeln.
In der Mitte des Tischs stand ein Wasserglas mit fuchsiafarbenen Rosen. Ihre schweren Blüten hatten sich bereits zu voller Pracht geöffnet, und der starke Duft, den sie verströmten, kitzelte mich in der Nase. Das Zirpen der Grillen, der warme Abendwind und die Schmachtlocke in Tante Naazis Stirn verliehen dem ansonsten nüchternen Esszimmer eine überaus angenehme Atmosphäre.
Auf dem Tisch lag eine dunkelgrüne Tischdecke aus Plastik, die ich höchst faszinierend fand. Ich hatte noch nie zuvor eine Plastikdecke gesehen und war davon überzeugt, dass sie magische Eigenschaften besaÃ. Ich lieà einen Klecks rotes Chutney darauffallen und wischte ihn dann mit meiner Fingerspitze wieder weg. Es blieb nicht der kleinste Fleck zurück, und ich fragte mich naiv, ob meine Mutter das bemerkt hatte. Wenn bei uns zu Hause jemand das stets tadellos weiÃe Tischtuch bekleckerte, wurde er unweigerlich mit ihrem berühmten »Blick« bestraft. Ãber ihre Lippen kam niemals ein tadelndes Wort, stattdessen nahm sie meine Ungeschicklichkeit sofort mit scharfem Blick zur Kenntnis, woraufhin mich stets von Kopf bis Fuà eine Welle schierer Verzweiflung durchströmte. An diesem Abend aber befanden wir uns im zauberhaften Reich meiner fröhlichen Lieblingstante Naazi, die dafür sorgte, dass meine Mutter keinen Grund hatte, irgendjemanden mit besagtem »Blick« zu bestrafen.
Aus der Küche drang jetzt fröhliches Lachen, begleitet vom lauten Brutzeln des Fettes und einem köstlichen Geruch, der ins Esszimmer zog. Ein Mann in khakifarbener Hose und einem dazu passenden Hemd, trug jetzt eine groÃe Porzellanplatte mit Essen herein. Naazi folgte ihm auf dem FuÃ, wobei sie einen flachen Strohkorb mit einem Berg Naans vor ihrer Brust hielt, damit sie nicht auskühlten. Wir lieÃen die Platte herumgehen und füllten unsere Teller mit groÃen, länglichen Fladen aus Hackfleisch, in die sich die braunen Linien des Grills eingebrannt hatten. Aus den dampfenden Kebabs leuchteten das Rot kleingeschnittener Tomaten, das Grün von Koriander und Chili und das Gelb und Weià von Eiern heraus.
Für die Zubereitung dieser Kebabs wurde eine riesige schwarze Stahlscheibe auf Brattemperatur erhitzt, dann wurde gewürztes und mit knusprigem Koriander und Granatapfelkernen vermischtes Hackfleisch vom Lamm oder Rind etwa fingerdick darauf verteilt. Das Kebab wurde dann auf beiden Seiten jeweils vier Minuten angebraten. Es war dies ein Gericht, in dem sich die Geschichte der Region widerspiegelte. Die Pathanen Pakistans waren für ihre rauen Sitten bekannt - sogar ihre Volkstänze waren allesamt wild und kriegerisch. Eine Theorie besagte, dass dieses Kebab den Namen chapli , also »Sandale«, trug, weil die wilden Pathanen das Hackfleisch mit den FüÃen stampften so wie die Winzer Italiens ihre Trauben. Glücklicherweise erfuhr ich dieses kleine, aber pikante Detail erst viele Jahre später. Wäre es an diesem denkwürdigen Abend bei Tisch zur Sprache gekommen, hätte mich der heikle Appetit, den ich als Fünfzehnjährige hatte, mit Sicherheit daran gehindert, die wunderbaren Chapli-Kebabs meiner Tante angemessen zu würdigen.
Naazi war jünger als ihre Schwester Khush. Die beiden waren als frisch verheiratete Ehefrauen gemeinsam durch das vom Bürgerkrieg gezeichnete Indien nach Pakistan geflohen. Ich konnte mir jedoch nicht einen einzigen Augenblick lang vorstellen, dass Naazi wegen ihrer zerrissenen Hochzeitsschuhe aus Brokat geweint hätte. Ich sah sie barfuà und mit wehenden Haaren aus einem Wald herausrennen und all ihre Verfolger weit hinter sich lassen. Es war durchaus passend, dass ihr Ehemann jetzt in einem Gebiet stationiert war, dessen Geschichte ebenso dynamisch war wie Naazi selbst.
Der Bezirk Mardan ist ein Teil des nordwestlichen
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