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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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verwendeten eine Technik, die gothna genannt wird. Dabei wird das Fleisch mit einem Löffel oder einem hölzernen Zylinder zu Brei zerquetscht, was erhebliche Kraft erforderte. Aber auch bei dieser Arbeit lehnte Tante Khush jede Hilfe ab.
    Tante Khush darum zu bitten, dieses Gericht zu kochen, war für uns keine leichte Sache. Khush pflegte die Bitte kommentarlos zur Kenntnis zu nehmen und ihre Geschwister, das heißt, meine Onkel und Tanten, dann irgendwann ganz zwanglos zum Essen einzuladen, ohne ihnen jedoch zu sagen, dass es Harissa geben würde. Wenn sie das Gericht dann auf den Tisch stellte, waren ihre Gäste jedes Mal völlig sprachlos. Es war, als hätte man den Pfauenthron des Kaisers Schah Dschahan vor ihnen aufgebaut. Sie konnten einfach nicht anders, als mit offenem Mund zu staunen. Khush servierte ihren Gästen jeweils einzelne Portionen, wozu sie jedes Mal in ihrer Küche verschwand, um anschließend mit einem Schälchen kochend heißem Harissa, das sie mit knusprig braun gebratenen Zwiebeln garniert hatte, wieder aufzutauchen. Dann mussten wir jedoch erst einmal geduldig warten, weil die einzelnen Portionen Harissa erst wieder ein wenig abkühlen mussten, bevor wir sie essen konnten.
    Khush sprach niemals über ihre Art der Zubereitung oder gar ihr Rezept, und so wurde es zu einer Art Familientradition, sich bei ihr zu einem Besuch anzumelden und zu hoffen, dass es Harissa geben würde. Khush kannte ihre Verwandten nur allzu gut und verwöhnte sie damit, dass sie dieses Gericht zu allen möglichen Gelegenheiten auf den Tisch brachte. Angesichts der überschwänglichen Komplimente, mit denen man sie überhäufte, lächelte sie nur müde, so als wolle sie damit zum Ausdruck bringen, dass jeder, der auf die Idee kam, auch nur zu bezweifeln, dass sie in unserer Familie die ungekrönte Königin dieses Gerichts war, nicht ganz bei Verstand sein könne. Falls ihr Rezept auf irgendeine Weise verändert würde, so wäre das Ergebnis eben kein Harissa mehr. So einfach war das.
    Harissa ist ein Gericht, in dem sich ein großer Teil der Geschichte des Mogulreichs widerspiegelt. Man verwendet dazu das Fleisch frisch geschlachteter Lämmer. Die Kaschmirer ziehen Lammfleisch allen anderen Fleischarten vor. Dies liegt wohl vor allem auch daran, dass das Weideland Nordindiens ideale Bedingungen für die Schafzucht bietet. Das Gericht besteht aus einer Kombination von Fleisch und Weizenkörnern, die stundenlang gekocht werden müssen. Obwohl Harissa sozusagen das Produkt einer fusionierten Küche ist, waren es die Kaschmirer, die sich dieses Gericht zu eigen machten und sich bei der Zubereitung besonders hervortaten. Für die Mongolen, die das erste Volk waren, das in Indien einfiel, war Getreide ein relativ leicht zu transportierendes Lebensmittel. Die mongolischen Reiter verwendeten ihre spitzen Helme als Kochtöpfe und Aststrünke als Kochlöffel. Die samtige Konsistenz des Harissa war jedoch nicht nur das Ergebnis der langen Kochzeit, sondern ergibt sich auch daraus, dass sich die Aststrünke hervorragend dazu eigneten, die Fleischfasern zu zerquetschen und aufzubrechen.
    Die Perser, wahre Meister darin, kulturelle Errungenschaften weiterzuentwickeln, vertrauten sowohl in der Kunst wie auch in der Küche auf die Methode des Verfeinerns. Die Folge davon war, dass das kaschmirische Harissa zugleich robust als auch fein ist. Der zerquetschte Weizen gibt dem Ganzen eine kernige Struktur, während der Fleischbrei eine geradezu faserlose Transparenz besitzt. Mit Ausnahme des schwarzen Kardamom werden für ein Harissa grundsätzlich nur leichte Gewürze verwendet. Eine weitere persische Note steuert die Garnitur aus getrockneten und in Ghee sautierten Bockshornkleeblättern bei, die weniger scharf als frische Blätter sind. Bei einer etwas anderen Variante des Harissa wird eine Garnitur aus hauchdünn geschnittenem Kebab verwendet, das den türkischen und afghanischen Einfluss verrät. Kebabs aus Lamm- oder Rinderhack, das zu Kugeln geformt und auf Bratspieße gesteckt wird, sind in der türkischen und afghanischen Küche das, was der Hamburger für die Amerikaner ist.
    Die Perser und Kaschmirer fügten dem Harissa auch Soße oder Fleischsaft hinzu. Auf diese Weise entstanden Gerichte wie Kofta, Gushtaba oder Rista. Weitere Abwandlungen sind das Nargisi Koftal, in dessen Innerem sich ein gekochtes Ei befindet,

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