Zum Tee in Kaschmir
hinausblickte, dauerte an einem durchschnittlichen Freitagnachmittag ungefähr eine Stunde. Der Kofferraum unseres Autos war mit groÃen Körben mit Obst und Gemüse vollgepackt. AuÃerdem hatten wir Kühlbehälter eingeladen, gefüllt mit vorgekochten Speisen, sowie kleine Holzgestelle mit Coca-Cola-Flaschen und einem hier sehr beliebten rotbraunen Getränk, das Vimto hieà und gefährlich viel Kohlensäure enthielt. Wenn man ein paar Flachen Vimto getrunken hatte, kam man sich jedes Mal vor wie ein Heliumballon, der kurz vor dem Platzen stand.
Das Strandhaus bestand aus grauem Beton und besaà viele kleine, mit Fensterläden versehene Fenster, die auf das Meer hinaussahen. Die Räume im Inneren waren so angeordnet, dass sich die Schlafzimmer auf der einen Seite aneinanderreihten, während sich das Speise- und das Wohnzimmer auf der gegenüberliegenden Seite befanden. Das Haus selbst war mit allem Komfort ausgestattet und verfügte sogar über einen eigenen Generator, der in einem kleinen Anbau stand und den Strom für das elektrische Licht, die Warmwasseranlage und die Küchengeräte lieferte.
Eine Treppe mit sechzig Betonstufen führte zu einem schönen Privatstrand hinunter, der Balegi hieÃ. Bizarre Felsformationen schoben sich von der Klippe aus ins Meer hinein und bildeten auf diese Weise viele kleine natürliche Buchten. Die Gefahren, die durch die unter Umständen sogar tödlichen Quallen am Strand drohten, wurden durch die unzähligen Delfine, die riesigen Meeresschildkröten und die Roten Schnapper wettgemacht, die sich im Ozean tummelten. Selbst der Instantkaffee, den wir aus einer Thermosflasche tranken, und die zwischen zwei Scheiben Brot gelegten Shami-Kebabs, schmeckten an diesem Strand viel besser als irgendwo sonst.
An einem Wochenende nahm meine Mutter auch ihren berühmten Gajrela mit an den Balegi-Strand. Es war, als hätte sich der GroÃmogul Akbar höchstpersönlich mit seinem Lieblingsmusiker Tansen auf den Weg zum Strand hinunter gemacht. Wenn Tansen die Veena, ein Saiteninstrument, spielte, dann weinten, so erzählt man sich jedenfalls, selbst die Steine. Akbar war es gelungen, den Musiker einem anderen Mäzen abzuwerben, indem er ihm einen Gesandten mit wertvollen Elefanten und kostbarem Geschmeide geschickt hatte. Als Tansen am 26. April 1589 starb, stellte sich der Kaiser gegen alle Traditionen und befahl, dass seine Musiker und Sänger am Grab Melodien komponieren sollten, so als handle es sich um eine Hochzeit und nicht um ein Begräbnis.
Jedes Mal, wenn ein Kamel oder eine Schafherde die Korangi Road überquerte und das Auto plötzlich bremsen musste, fragte ich mich besorgt, ob das legendäre Dessert meiner Mutter nicht aus seinem Behältnis schwappen würde. Der Gajrela wurde in einem hohen Kochtopf transportiert, der in ein viereckiges Tuch eingeschlagen war. Die vier Enden des Tuchs waren dabei über dem Deckel zu einem Knoten zusammengebunden, damit der Topf fest geschlossen blieb und kein Wüstensand eindringen konnte.
Ich hatte gesehen, wie meine Mutter den korallenfarbenen, sahnigen Pudding in das Transportgefäà gefüllt hatte und war zuversichtlich, dass ich in ein paar Stunden eine groÃe Portion meines Lieblingsdesserts essen würde. Ich war nach Sahnedesserts mit Safran regelrecht süchtig, zudem faszinierte mich das blasse Korallenrot des Gajrela, das einen wunderbaren Kontrast zu den bunten pakistanischen SüÃigkeiten und den reinweiÃen Reispuddings bildete, über alle MaÃen.
In dieser Nacht stand der Vollmond hell am Himmel und verwandelte das Meer in eine leuchtende, silberne Fläche. Nachdem wir den köstlichen Gajrela genossen hatten, beschlossen wir Teenager, einen mitternächtlichen Spaziergang zum Strand hinunter zu unternehmen. Wir wussten, dass die groÃen Meeresschildkröten oft in einer mondhellen Nacht zur Eiablage an Land kamen.
Als die Erwachsenen schlafen gegangen waren, stiegen wir Teenager zu fünft, aber mit nur einer einzigen Taschenlampe ausgerüstet, die steile Treppe zum Meer hinunter, um die Schildkröten zu beobachten. Da in unserer Familie traditionell alle aufregenden Abenteuer mit etwas Essbarem gefeiert wurden, kam als mitternächtlicher Imbiss natürlich nur der Gajrela in Frage. Wir nahmen den Topf mit dem Rest des Puddings aus dem Kühlschrank und sicherten ihn wieder mit dem Tuch. Einer von uns
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