Zum weißen Elefanten
zehn Minuten, und sie war verschwunden. Kein Wunder, daß sie nie ein Bad nimmt. Sie schleicht herum und bestiehlt die Leute, wenn sie baden.«
Jane fühlte, daß etwas getan werden mußte. Aber was? Die Polizei anrufen, so daß alles an die Öffentlichkeit kam? Irgendeine Ausrede finden, um Agatha Wheelers Zimmer zu durchsuchen? Sie erwog sogar, ein Ferngespräch mit Philip anzumelden, und ihn um Rat zu fragen. Dann beschloß sie, schnell das Frühstücksgeschirr zu spülen, dann zu Hugh zu gehen und ihn um seine Meinung zu bitten.
Als sie gerade hinausging, um ihr Pony zu holen, wurde ein Auto sichtbar, hielt vor ihrer Türe, und ein junger Mann stieg mit sehr unruhiger und besorgter Miene aus.
»Guten Morgen. Suchen Sie mich oder einen der Pensionsgäste?«
Er zögerte und fragte dann etwas unbeholfen: »Wohnt bei Ihnen eine ältere Dame? Eine Miss Olds? Sie ist meine Tante.«
»Nein, niemand mit diesem Namen. Wir haben nur zwei Gäste, Miss Wheeler und Miss Newman.«
Dann kam sie plötzlich darauf. Miss Wheeler benutzte einen falschen Namen. Das war des Rätsels Lösung. Jetzt würde dieser freundliche junge Mann seine Tante mitnehmen, und alle ihre Sorgen wären wie weggeblasen. Aber er zögerte.
»Meine Tante — meine Tante findet es manchmal lustig, ihren Namen zu ändern.«
»Ja? Miss Wheeler ist groß und dunkel und sehr stark.«
»Meine Tante, Miss Olds, ist klein und weißhaarig und hat eine sehr sanfte Stimme.«
In diesem Augenblick ertönte eine wohlklingende Stimme aus einem der Fenster im oberen Stock. Miss Newman guckte vorsichtig hinaus, ihre weißen Löckchen wippten vergnügt. »Henry, mein Liebling, wie schön, dich wiederzusehen. Komm nur herauf. Hast mich also doch gefunden, du kluger Junge. Aber ich habe dich schön an der Nase herumgeführt, oder?«
Jane griff sich an den Kopf. Miss Newman. Miss Olds. War es möglich, daß diese aufrichtige alte Dame einen falschen Namen benutzt hatte? Und warum? Aber sie nickte glücklich. »Olds. Newman. Guter Einfall, nicht wahr, Henry?«
Jane sagte sich: »Ich fand sie manchmal etwas zerstreut — aber nicht unzurechnungsfähig. Aber nein, das konnte nicht sein. Sie ist sehr alt und etwas kindisch, weiter nichts.« Laut sagte sie: »Kommen Sie doch bitte herein. Möchten Sie zu Ihrer Tante hinaufgehen?«
»Ich fürchte, ich muß Ihnen erst eine unangenehme Mitteilung machen«, sagte er, als er ihr in das leere Eßzimmer folgte, und sie wartete, sein unglückliches Gesicht mitleidig beobachtend.
»Tja, um Ihnen die Wahrheit zu sagen... Es tut mir leid, daß ich über die alte Dame sprechen muß. Sie ist die Tante meiner Frau, nicht meine eigene, aber ich habe sie sehr gerne, und sie lebt seit Jahren bei uns. Aber in letzter Zeit hat sie eine seltsame Angewohnheit entwickelt. Sie wird natürlich älter, aber bis auf diese eine Sache ist sie völlig normal. Um die Wahrheit zu sagen«, wiederholte er und nahm nun verzweifelt den letzten Anlauf, »sie läßt Sachen mitgehen. Sie will natürlich nicht stehlen. Sie macht gerne kleine Geschenke. Man kann sie mit einer Elster vergleichen.«
Jane fragte sich verwirrt, ob Elstern Geschenke machten. Dann ließ sie sich auf den nächsten Stuhl fallen, als ihr die volle Wahrheit bewußt wurde. Das war einfach nicht möglich. All diese lächerlichen Diebstähle und die freundliche alte Dame. Sie sagte: »Wir mögen sie sehr gerne. Wir hätten nie gedacht, daß sie es sein könnte. Wir — ich fürchte, die andere Dame war uns weniger sympathisch.«
Er lächelte traurig. »Ich weiß. Jeder mag meine Tante Anne. Und sie will wirklich nichts Böses tun. Aber bitte sagen Sie mir — haben Sie Schwierigkeiten gehabt?«
»Und wie. Merkwürdige Gegenstände sind verschwunden. Sachen, die sie überhaupt nicht brauchen kann«, und sie dachte an die Herrenschuhe und die kleinen zierlichen Füße und mußte fast lächeln.
»Es tut mir sehr leid. Seit das angefangen hat, haben wir sie nie alleine weggehen lassen, aber es ist ihr gelungen, uns zu entwischen. Meine Frau ist fast wahnsinnig geworden, und ich habe tagelang nach ihr gefahndet. Wir hatten solche Angst, jemand würde die Polizei holen, und sie könnte dann vielleicht — vielleicht weggebracht werden. Sehen Sie, wir versorgen sie, und sie geht nicht selbst einkaufen, und wenn irgend etwas verschwindet, geben wir es sofort zurück. Alle kennen sie und haben sie gern. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich sie jetzt herunterholen und mich in ihrem Zimmer
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