Zungenkuesse mit Hyaenen
schüttelte Hände, küsste Wangen und klopfte Schultern, er hatte keine Ahnung, wen er da begrüßte, so weit kannte ich ihn schon, aber er beherrschte diese Technik gut genug, um damit auf Begeisterung zu stoßen.
Ein Friedhofsangestellter wies den Ankommenden ihre Plätze zu. Wie Tempelpriesterinnen von Tag und Nacht standen Kuki Bobito und Veronika Mann links und rechts neben Müller. Während Veronika, die nur für die Dauer einer Tatort-Rolle in Müllers Gunst gestanden hatte, aber immer noch hoffte, in mattschwarze Seide gehüllt war, trug Kuki ein grellrotes Tüll-Kostüm – Gipfel finaler Frivolität, optischer Triumphschrei der Siegerin.
In der Reihe dahinter standen Gürkchen, Big Ben, Teuben undweitere Rizzer Größen. Auch nationale Berühmtheiten waren da – leicht an ihren gewaltverjüngten Gesichtern zu erkennen und daran, dass die Fotografen sich förmlich in den Schlamm warfen, um sie abzulichten. In einem von ihnen glaubte ich den Schauspieler zu erkennen, der über Müller gesagt hatte, dass er durch seine Behinderung böse geworden sei. Hinter der Absperrung, im Pulk des schaulustigen Volkes, nahm ich Klarhabbisch mit seiner verhüllten Ehefrau, Hanna, Gritli und einige von Davids jugendlichen Begleitern wahr. Ob Mutter in ihrem leeren Grimmelshausener Haus auch vorm Fernseher saß?
Ich sah Zivilpolizisten, die, in identische Regenmäntel gehüllt, die Trauergesellschaft maximal auffällig observierten. Angestrengt drehten sie die Köpfe hin und her. Wer von den hier so weihevoll Versammelten hatte ein Motiv gehabt, Felicitas Müller zu ermorden? War es Kuki Bobito gewesen, Müllers neue Geliebte? War Müller selbst der Täter, aus Überdruss, aus Eifersucht? Was hatte der Tod des Cellisten mit allem zu tun? Und ich? Dachten sie überhaupt noch an mich, war ich schon vergessen?
Müller thronte mit tropfendem Borsalino in seinem Rollstuhl und konnte kein Wässerchen trüben. Barbie-Oma löste sich aus der Menge der Trauernden, wackelte mit einer Regenpelerine in der Hand auf Müller zu und legte sie um seine Schultern. Harsch wischte Müller die Frau und die Pelerine weg. Barbie-Oma hob den Umhang auf und entfernte sich mit dem Gesichtsausdruck eines Menschen, der es gelernt hat, Demütigungen wegzulächeln.
Der Regen hatte nachgelassen. Müller packte sein linkes Bein und legte es über das rechte, faltete die Hände im Schoß und betrachtete die anwesenden Damen mit der Schamlosigkeit eines alten Mannes, der nichts zu verlieren hat. Nun würde er sicher gleich meine Rede halten. Tatsächlich, er holte einen Zettel aus der Innentasche, klopfte an das Mikrophon, räusperte sich und las:
»Hochverehrte Damen, geschätzte Herren, meine sehr geehrten Anwesenden! Es gibt drei große Ereignisse im Leben eines Menschen: Geburt, Koitus und Tod. Die Geburt feiert man allein, den Koitus – mindestens – zu zweit, und bis zu seinem Tod sollte man idealerweise einige Menschen angehäuft haben. Die Gruppe muss groß genug sein, dass es ein schönes Bild ergibt. Dafür, dass Felicitas Müller nur dreißig Jahre Zeit hatte, hat sie eine illustre und auch ansehnliche Trauerschar zu bieten ...«
Meine Rede kam hervorragend an, und ich bedauerte zutiefst, dass Müller allein alles Lob erntete, während ich mich im Schwarzen Bunker unschuldig meiner Freiheit beraubt sah. Die Kamera fuhr nun wieder groß auf Müllers Gesicht, das hochzufrieden und ohne jeden Anflug von Trauer und Zerknirschung war. Er vermisste die Müllerin nicht, er vermisste mich nicht, er schien ganz ohne böse Geister zu sein und gehörte offenbar zu den glücklichen Geschöpfen, die immer mit dem vorliebnehmen, was vorhanden ist.
DER SCHWARZE BUNKER
Mein Wärter, der Justizvollzugsbeamte Steinbrecher, war ein düsterer Albino, den ich schon am schlurfenden Schritt auf dem Gang erkannte. Näherte er sich, peitschte mein Herzschlag hoch, ich zitterte vor Angst, abgeführt und geköpft zu werden, zog mich in den hintersten Winkel meiner Zelle zurück und starrte auf die Luke, die gleich aufgestoßen werden würde. Steinbrechers rote Pupille würde erscheinen, um sich zu vergewissern, dass ich noch da und am Leben sei.
Ich war in der Hölle, der Welt, dem Ruhm fortgenommen, der Mutter fortgenommen, schutzlos der Willkür von Tyrannen ausgeliefert, von Niesattacken, Durchfällen und Alpträumen geplagt. Ich wuschmich nicht, verweigerte das Essen und saß oft in Unterwäsche auf meiner Pritsche, das stoppelige Gesicht in den Händen
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