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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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vergraben, um zu weinen. Obwohl das Gefängnis mitten in der Stadt lag, drang von Rizz kein Mucks herein. Was ich jedoch ständig hörte, war das Brummen der Neonröhre, das Glucksen der Toilette, die hinter einem Vorhang verborgen war, um die Reste meiner Intimsphäre vor Steinbrechers Kontrollblick zu schützen, und die urwaldhaften Geräusche aus anderen Zellen, in denen Mörder, Sexualstraftäter, Betrüger hausten.
    Die Gemeinschaftsdusche suchte ich nicht auf. Zu deutlich standen mir Horrorgeschichten wie die von dem Mann, der sich nach der Seife bückt und vergewaltigt wird, vor Augen. Ich wusch mich jeden Morgen am Waschbecken meiner Zelle, Katzenwäsche, wie Mutter es genannt hätte, und ich hätte meine Zelle niemals verlassen, wenn ich nicht nach drei Tagen zum ersten Hofgang regelrecht gezwungen worden wäre.
    Die gleißende Sonne, die mit Maschinenpistolen bewaffneten Posten auf den schwarzen Mauern, die schweren Jungs, die sich plaudernd in Grüppchen zusammenfanden, um auf dem betonierten Platz, auf dem kein Grashalm wuchs, unaufhörlich im Kreis herumzustiefeln, hoben meine Stimmung keinesfalls. So musste es Dostojewski in der Verbannung gegangen sein, als er fünf Kilogramm schwere Fußfesseln trug.
    Am Abend des neunten Tages bekam ich einen Zimmergenossen: einen großen, schweren Mann mit platter Nase. Der Mann trug eine Jeansweste und war an den Armen tätowiert. Er war früher Boxer gewesen, Schwergewicht, Deutscher Meister. Er nannte sich Gonzo und sah zum Fürchten aus. Ich aber hatte keine Angst, im Gegenteil, ich war überglücklich, nicht mehr allein zu sein. Gonzo war des bewaffneten Raubüberfalls verdächtig und beteuerte, genau wie ich, seine Unschuld. Seine Gegenwart beruhigte mich, ich fühlte mich beschützt. Gonzo war sehr stark. Wenn er abends in unserer Zelle sein straffes Trainingsprogramm durchzog und sich an den Gitterstäben des Fensters zu unzähligen Klimmzügen hochbäumte, war die Luft getränkt mit seinem Schweiß.
    »Was ist das?«, sagte ich und zeigte auf das Bild einer Frau über seiner linken Brustwarze im Dickicht seiner Körperbehaarung.
    »Das ist meine Mutter«, sagte er. »Ich hab es selbst gestochen.«
    So sehr liebte dieser starke erwachsene Mann seine Mutter?
    Sein Gesichtsausdruck verbot jeden Kommentar.
    Auch wenn mich die Idee, mir ein Kainsmal in Gestalt eines Knasttattoos zu verpassen, faszinierte, so war doch mein Bedürfnis, Mutters Bild überm Herzen zu tragen, selten kleiner gewesen als jetzt.
    »Meine Mutter ist tot«, sagte Gonzo.
    »Meine lebt«, sagte ich, »aber sie besucht mich nicht.«
    »Schreib ihr doch einen Brief!«
    Es gelang mir, Gonzo aufzuschließen. Er wurde von Tag zu Tag gesprächiger, und auch ich erzählte ihm von mir. Ab 22 Uhr, wenn das Licht ausgegangen war, lagen wir im Dunkeln und redeten, ganz schlicht, wie kleine Jungs im Ferienlager. Gonzo erzählte mir, wie er Gewalt einsetzte, wenn ihm die Argumente ausgingen. Wie befreiend es sei, einfach zuzuschlagen. Wie viel Respekt man sich verdient, wenn man körperlich herrscht. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass es der Beginn der Zivilisation gewesen sei, statt Fäusten Argumente einzusetzen. Aber dann dachte ich an Mutter und ihren Rohrstock und schwieg.
    Erst wenn Gonzo eingeschlafen war, kamen die Gespenster zurück. Die Einsamkeit, die ich dann empfand, war nicht mit Worten zu beschreiben. Um Trost zu suchen, rief ich mir immer wieder Gritlis Bild vor Augen, Gritli in der Verkleidung der Roten Müllerin, wie sie lasziv im Rahmen meiner Küchentür steht, wie sie mich ansieht. Gelang das nicht, lag ich zusammengekrümmt auf meiner Pritsche und sah denCellisten, eine Hand am Steuer, mit der anderen mein blaues Augentropfenfläschchen aus der Brusttasche ziehend, es mit den Zähnen öffnend, beide Augen betropfend, brüllend, mit jaulendem Motor von der Straße abkommend, mit dem Auto im Teich versinkend, vergeblich nach Luft schnappend, unter Wasser, mit blutenden Augen und platzender Lunge.
    Gonzos ohrenbetäubendes Schnarchen war fast eine Erlösung, es riss mich aus dem Traum, und vor Verwirrung sprang ich von der Pritsche, die Hände an der Hosennaht, der Herzschlag wie eine Kalaschnikow.
    Gritli hatte mir einmal geschrieben, dass es ihr gutgehe, dass sie von Big Ben unter Vertrag genommen worden sei und meine Serie im Mittagskurier weiterführe. Für die zweite Folge habe sie die Eltern der Roten Müllerin aufgesucht und interviewt. Ob ich gewusst hätte, dass Felicitas

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