Zungenkuesse mit Hyaenen
»Alles nur Bluff! Wie soll der Junge an Gift rankommen? Und selbst wenn er welches hätte, könnte er jemanden damit töten? Der kann doch nicht mal ’ner Fliege was zuleide tun! Auf die Rote Müllerin!«
Müller, der auch in seinen leutseligsten Momenten keinen Zweifel daran ließ, dass er jeden von uns in einer Sekunde zermalmen könnte, nahm Barbie-Oma das Glas aus der Hand und leerte auch ihres, während er Gritli zuprostete, die in ihrer Felicitas-Verkleidung, mit roter Lockenperücke und grünen Kontaktlinsen, verheißungsvoll im Türrahmen der Küche stand.
»Komm mal her, Schätzchen«, rief Müller und winkte sie heran.
»Deins trink ich auch!«
Gritli näherte sich langsam Müller, der bereits mit schwerer Zunge sprach. Ich spürte etwas Seltsames, nie vorher Dagewesenes. Ich war zornig auf Gritli, und ich war zornig auf Müller. War das etwa Eifersucht?
»Nein, ICH trinke es«, rief ich, fing Gritli auf halber Strecke ab und leerte ihr Glas, gleich darauf meins. Natürlich war kein Gift darin. Müller hatte recht, das war alles nur ein Bluff gewesen. Gritli und ich hatten gehofft, der Täter würde sich verraten.
Big Ben reckte sein Glas in die Luft, als wolle er uns zuprosten, trank aber nicht. »Cogito, ergo consum. Ich denke, also konsumiere ich. Wir wissen doch alle, wie es war. Stand doch heute im Mittagskurier . Die Müllerin wollte den Müller umbringen. Und dann hat sie vermutlich die Gläser verwechselt.«
»Ganz so war es nicht«, sagte ich, »auch, wenn du meine Geschichte in diese Richtung umgeschrieben hast, Onkel Ben. Herr Doktor Müller war ja auch vergiftet, er hat nur überlebt.«
»Ich trinke jedenfalls nicht auf deine Heterosexualität«, rief David, trat näher und stieß sein volles Glas an mein leeres. »Ich glaube nämlich nicht daran.«
Er zog sein Smartphone hervor, drückte ein paar Tasten und hielt mir frohlockend das Display hin, auf dem zu sehen war, was ich längst befürchtet hatte: Meine Entjungferung, ich als blinder Passagier im »Aphrodite«, Davids Kopf über meinen Schoß gebeugt.
»Das muss dir nicht peinlich sein. Es kommt nicht auf die Größe an«, sagte David und kicherte.
Es war David gewesen! Oh, hätte ich es nur niemals erfahren! Und es gab einen Film von meiner Fellatio, der sich sicher bereits schon in Müllers, wenn nicht in Big Bens Hand befand, von den Augenzeugen (Herr Puvogel, Gritli, Jana, Barbie-Oma) ganz zu schweigen. Meine Heterosexualität bewegte sich auf dünnem Eis.
»Und was dich betrifft, du kleine Schlange«, David wandte sich an Gritli und ließ mich mit meinem Schock allein, »du humpelst uns hier seit Jahren was vor, machst auf Behindi, wirfst mir vorwurfsvolle Blicke zu, stempelst mich zum Herzensbrecher und Mädchenverkrüppler, und heimlich tanzt du in der Wohnung herum und kannst laufen? Zur Hölle mit dir!«
»Und du?«, schimpfte Gritli zurück. »Machst auf schwul und bumst mit der Roten Müllerin rum? Es war gar nicht so, dass du nicht auf Frauen stehst, es war nur so, dass du auf mich nicht stehst.«
»Ja, vielleicht war es so. Felicitas war eben ein anderes Kaliber. Das läuft nicht einfach so über Klamotten. Und wenn nicht dieser Müller ...«
»Ich bin übrigens anwesend«, sagte Müller, »Sie brauchen nicht zu reden, als sei ich nicht da. Vielleicht fragt mich mal einer, wie es wirklich war?«
»Wie WAR es denn wirklich?«, rief ich. »Sie haben sich dazu ja bisher nicht öffentlich geäußert, und Sie hatten es meines Wissens auch nicht vor, sonst hätten Sie sich ja nicht das Attest der Kopfklinik ...«
»Ach wissen Sie, Meikel ...«
»Ich heiße Michael.«
»Michael? Was – ist eigentlich mit Ihnen passiert? Sie haben kaum noch Ähnlichkeit mit dem angenehmen jungen Mann, der in mein Haus kam. Im Gegenteil, Sie werden langsam – unangenehm. Nach meinem Sturz haben wir ein kleines Kammerspiel erlebt, die Müllerin und ich. Mann gegen Mann. Müller gegen Müllerin. Wir konnten nicht miteinander, und wir konnten nicht ohneeinander. Sie war von der fixen Idee besessen, dass sie von ihren Eltern Wahnsinn und Suff geerbt hatte, und bei mir gingen damals diese – nennen wir es ... kleinen Aussetzer los. Wir küssten und wir schlugen uns, sozusagen. Und dann dachten wir, machen wir eine Feier, lassen wir es richtig krachen, und dann zack. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.«
Kaum hatte Müller diese Worte ausgesprochen, Worte von enormer Sprengkraft, legten sie doch einen geplanten
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