Zungenkuesse mit Hyaenen
erkenntlich zeigen.
Die Woche hat viele Tage. Die Müllerin ist nur mittwochs da. Sie kommt Dienstagnacht und hat die Angewohnheit, sich jeden Donnerstagmorgen zu »dematerialisieren«, wie sie es nennt, und zwar spurlos.
Wenn Müller das Ladekabelgewirr, die Bücher, das Gepäck der Müllerin sieht, kann er nur ahnen, welch straffe Logistik dieser Wohnrhythmus erfordert. Und das über Jahre! Sie selbst nennt sich heiter eine »mobile ethnische Einheit«, wenn sie, für dreißig Stunden stets bepackt wie ein Muli, mit Taschen und Tüten sein Haus betritt. Taktvollerweise hat sie niemals einen Koffer benutzt. Ein Koffer hätte Müller tatsächlich erschreckt.
Er hat diese Konsequenz nie von ihr verlangt, aber angenehm überrascht zur Kenntnis genommen. Warum sie es tut, ergründet er besser nicht. Ob sie ureigenen Interessen nachgeht, ob sie vorausschauend handelt, ob sie es in seinem Haus auf Dauer nicht aushält – egal. Müller weiß, dass man glückliche Fügungen dieser Art nicht thematisieren, ja, nicht einmal loben sollte.
Inzwischen fühlt er sich in dieser Konstellation so stabil, dass er zuweilen übermütig wird. Seinem Motto »Zustimmung, wenn Ablehnung gesichert« folgend, hat er die Müllerin sogar einmal gefragt, ob sie nicht zu ihm ziehen wolle. Sie hatte ihm den Vogel gezeigt.
Was ihn erleichtert hatte, wenn auch nicht ohne Herzstich. War die Idee, mit ihm zusammenzuleben, wirklich so absurd für sie? Im Allgemeinen waren die Weiber scharf darauf, in seinem Hause Herrin zu sein. Die anderen jedenfalls versuchten mit allen Tricks, sich dort zu installieren. Eine amerikanische Geliebte hatte sogar mal gesagt: »Your home is my paradise.« Irrtum, Schätzchen, hatte Müller gedacht, mein Haus ist MEIN Paradies. Gesagt hatte er nichts.
Er zieht generell Entsorgungswege vor, die die Damen im Glauben lassen, aus eigenem Antrieb gegangen zu sein. Dann hat jeder, was ihm zusteht: die Verstoßene ihre Selbstachtung – er seine sturmfreie Bude zurück.
Dass die Müllerin und er durch Ehescheu und Freiheitsliebe so etwas wie umgekehrte Pärchenrituale schaffen, ist ihm sogar lieb. Man muss sich auf Dinge verlassen können. Andere Männer wollen, dass das Essen pünktlich auf dem Tisch steht. Müller zieht die partnerschaftliche Eintagsfliege vor. Er hat sogar seinen Produzentenalltag auf die Müllerin eingestellt, knüppelt die Wochenenden durch und nimmt dafür mittwochs einen »Haushaltstag«, eine der DDR abgelauschte Vokabel.
Obwohl die Entfernung zwischen Dingenskirchen und Rizz nur 40 Kilometer beträgt, hat die Müllerin ihn nie außer der Reihe mit Spontanbesuchen in Verlegenheit gebracht. Sie ruft ihn zwischendurch nie an. Sie hat in all den Jahren nicht einmal den Wunsch nach einem Hausschlüssel geäußert.
Sie sind zusammen, wenn sie zusammen sind, und nicht zusammen, wenn sie nicht zusammen sind. Und jeden Donnerstagmorgen treten sie aus der Beziehung heraus, hungrig aufs Leben.
SCHUND
Ich rief Mutter an und erzählte ihr mein Fahrstuhlerlebnis, wenn auch unter Auslassung von Wodka, Tabak und Urin. Mutter war, nach kurzem Schreck, wie immer vor allem an der beteiligten Dame interessiert.
»Ist sie etwa die Tochter vom Hürlimann?«
»Wer ist Hürlimann? Ich kenne keinen Hürlimann.«
»Dieser berühmte Anwalt aus Luzern, Hürlimann! Kennst du doch!«
»Kenne ich nicht. Du, Mutter, Big Ben hat mich auf eine Rokoko-Party eingeladen. Was trägt man da?«
Ich weiß nicht, war es die Erwähnung Big Bens, war es die einer Rokoko-Party, zu der sie nicht geladen war, Mutter reagierte missgelaunt, und das, obwohl ich sie ja um Rat fragte, was ihr sonst gefiel.
»Kostümkitsch«, knurrte sie.
Kostümkitsch hin, Kostümkitsch her, was sollte ich tun ohne Mutters Rat? Sollte ich nachts einen ominösen Kostümverleiher aus dem Bett klingeln, wie Tom Cruise in »Eyes Wide Shut«?
Als Mutter aufgelegt hatte, öffnete ich noch mal den Schrank der Roten Müllerin. Diesmal sah ich die Mäntel durch. Und tatsächlich, dort hing ein Männerfrack aus rotem Samt. Wie seltsam die Dinge ineinandergriffen. Hatte es einen tieferen Sinn, dass ich nach Rizz gekommen war, dass ich die Wohnung gefunden, den Auftrag bekommen hatte? Waren das Zufälle, oder taumelte ich einem Schicksal entgegen, das von höherer Stelle längst beschlossen war?
In Klarhabbischs Gemischtwarenladen, der besser zu laufen schien als sein Bistro, erwarb ich einen Frühlingsstrauß. Mit Wein konnte man sich bei Big Ben nur
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