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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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ihrem Zustand nicht nur abgefunden hatte, sondern ihn sogar mitunter genoss.
    »Das ist mein gewisses Etwas«, sagte sie, »mein Alleinstellungsmerkmal. Ich kann unverschämt sein, und niemand nimmt es mir übel. Ich kann schlecht gelaunt sein, und alle haben dafür Verständnis. Ich kann faul sein, und jeder bricht sich einen ab, um mir zu helfen. Behinderungen stehen hoch im Kurs. Und David kriegt immer ein schlechtes Gewissen, wenn er mich sieht, das macht Laune.«
    Ein seltsames Mädchen. Sie lud mich in ihre helle Wohnung ein. Sie herzte mich, küsste mich, kochte Kaffee und buk Streuselkuchen, der es allerdings an Feuchtigkeit fehlen ließ. Wir begannen unsere Tagesabläufe aufeinander abzustimmen. Wir tauschten Wohnungsschlüssel, liehen einander Lebensmittel. Wir sprachen über die Rote Müllerin, über Müller, über Big Ben und beratschlagten, wie nun weiter vorzugehen sei. Wir arbeiteten gemeinsam an der Decodierung des Honigbuches.
    Hier erwies sich meine Compañera allerdings als nicht so hilfreichwie angekündigt. Sie hatte tatsächlich eine Ausbildung zur Restauratorin gemacht, allerdings war sie eher für die Herrichtung von Mumienmasken ausgebildet, nicht für das Lesbarmachen von verkleistertem Papier. Im graphologischen Unterricht hatte sie offenbar nie aufgepasst. Jedenfalls erriet sie die Sätze mehr, als dass sie sie rekonstruiert und lieferte mir die krudesten Abschriften. Da es sich nur um einzelne Sätze handelte, die sie bisher zu entziffern geglaubt hatte, gab es keinen Zusammenhang. Und wo kein Zusammenhang ist, ist oft auch kein Sinn. Die Müllerin schien überdies an manchen Tagen, eigentlich an den meisten Tagen, eine schwer entzifferbare Handschrift gehabt zu haben. »Ich bringe ihn heim« konnte genauso gut »Ich bringe ihn um« heißen. Und »Er ist liederlich« konnte man ebenso gut auch als »Er ist widerlich« lesen. Gritli war oft für die harmloseste Auslegung. Dabei lag auf der Hand, dass Ausbrüche wie »Ich habe ihn! Ich habe ihn! Ich habe ihn!« für eine leidenschaftliche Frau wie die Müllerin – und an ihrer Leidenschaft hegte ich keinen Zweifel – viel unwahrscheinlicher waren als »Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!« Und da immerhin die Möglichkeit bestand, dass sie ermordet worden war, müsste man »Ich hasse ihn!« als einen Hinweis auf den Mörder lesen. Aber wer war es, den sie hasste?
    Ich stand unter Druck. Das Smartphone stellte ich leise. Big Bens Büro rief jetzt täglich an. Auf meiner Mailbox hinterließ seine Sekretärin die Aufforderung, zurückzurufen. Am Anfang klang es süßlich, dann immer harscher. Zum Schluss hatten ihre Mitteilungen den Sound einer Kettensäge: »Herr Rooothe, Dr. von Rube bittet um Rückruuuf in der Sache Mülläär! Dringääänd! Dankääääh!«
    Was drängten die mich denn? Ich war noch nicht so weit. Ich arbeitete ja! Und wie ich arbeitete! Es war ja nicht so, dass ich nicht über Felicitas Müller nachdachte. Nie zuvor hatte ich so ausführlich über eine Frau nachgedacht wie über Felicitas Müller. Ich dachte vielleichtzehn Stunden täglich über sie nach, das war ein Full-Time-Job, und manchmal machte ich sogar Überstunden. Was hat sie hier gemacht, in dieser Wohnung, wie hat sie die Welt angeschaut, was war ihr Ziel? Womit konnte man sie verletzen? Wer wollte sie sein? Wovon hat sie geträumt? Wo waren ihre Eltern? Wem hat sie vertraut? War sie glücklich gewesen? Bevor ich nicht all diese Fragen beantworten konnte, brauchte ich gar nicht mit Big Ben zu telefonieren. Kein Vermelden von Misserfolgen, hatte mich der Chefredakteur vom Grimmelshausener Anzeiger gelehrt.
    Ich stellte mir Felicitas Müller als kleines Mädchen vor, sommersprossig, auf einer Schaukel im Garten. Ich sah sie als Studentin, hochgewachsen, mit Marlene-Hosen und dem Gang einer jungen Frau, die oft gehört hat, dass sie schön ist. Ich malte mir aus, wie sie neben mir im Bett lag und meinen nackten Hintern streichelte, ich sah sie im Pyjama, die Haare in einen Handtuchturban gehüllt, Kokain schnupfend, ich sah sie nackt auf dem Balkon, im Bad beim Zähneputzen, vorm Kühlschrank hockend, ein Stück Schinken im Mund, und trinkend, im Stehen, Sitzen und Liegen.

SELTSAMES FRÜCHTCHEN
    Abends vorm Zubettgehen roch ich manchmal an ihren roten Pumps, strich über das Leder, untersuchte leichte Läsionen am Überzug der Absätze, an den Spitzen. Einmal versuchte ich die Schuhe anzuziehen. Sie passten nicht, ich zwang meine Zehen trotzdem

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