Zur Leidenschaft verfuehrt
würde, dem dieser Umstand auffiel. Er verspürte einen scharfen Stich. Was war das? Eifersucht? Er wollte nicht, dass andere Männer ihr begehrliche Blicke zuwarfen? Du hast kein Recht, so etwas zu fühlen, ermahnte sich Raphael wütend.
Ein Parfüm. Auf die Idee war sie gar nicht gekommen. Mit leicht bebenden Fingern entfernte Charley das Papier, fast so, als ob sie das Päckchen soeben aus der Hand ihres Geliebten entgegengenommen hätte.
Die Flüssigkeit in dem kleinen Flakon hatte die Farbe von dunklem Bernstein. Äußerst behutsam entfernte Charley die Kappe. Als ihr der Duft in die Nase stieg, verfiel sie ihm auf der Stelle. Das Parfüm erinnerte an einen blühenden Rosengarten, mit einer unterschwellig exotischen, verführerischen Note, die an die Märchen aus tausendundeiner Nacht erinnerte.
Charley war erstaunt über die Auswahl, die Raphael getroffen hatte. Sie hätte eher damit gerechnet, dass er einen modernen frischen Duft für sie aussuchte, nicht so etwas Sinnliches, Schwelgerisches, Romantisches … einen Duft, den sie in gewissen Situationen vor dem Zubettgehen auflegen würde, damit ihr Liebhaber sie noch mehr begehrte.
„Wenn Sie den Duft nicht mögen …“, begann Raphael.
„Oh doch, ich mag ihn sogar sehr“, widersprach Charley und tupfte sich zum Beweis je einen Tropfen Parfüm hinters Ohr und aufs Handgelenk. „Es duftet himmlisch, aber ich kann den Hersteller nirgends entdecken.“
„Das ist ein Parfümier, der seine eigenen Düfte kreiert.“ In Raphaels Stimme schwang eine leise Ungeduld mit. Deshalb beschloss Charley nicht weiter zu fragen, obwohl sie den Namen des Herstellers nur zu gern erfahren hätte. Weil sie schon jetzt entschlossen war, das Parfüm auf jeden Fall zu ersetzen, wenn die Flasche leer war.
Obwohl Charley mit dem Duft sehr sparsam umgegangen war, stieg Raphael die Mischung aus sinnlichem Versprechen, Leidenschaft und Charleys eigenem Duft in die Nase. Und dann meinte er plötzlich, den Duft seiner Mutter wahrzunehmen. Ungehalten schob er die Erinnerung beiseite. Er wusste nicht, warum er in letzter Zeit so oft an seine Mutter denken musste, und er wollte es auch gar nicht wissen.
8. KAPITEL
Es war für Charley der schönste Abend ihres Lebens gewesen. Wie schade, dass er wie im Flug vergangen war. Die Gespräche waren ebenso anregend gewesen wie der Wein in ihrem Glas. Die Begegnung mit Menschen, die ihre Arbeit so sehr liebten und sie selbst wie eine der Ihren behandelten, hatte bewirkt, dass Charley jede Sekunde des Abends genießen konnte. Es war eine erhebende Erfahrung gewesen. Antonio und Niccolo waren beide in den Fünfzigern und ihre Frauen, Mütter bereits erwachsener Kinder, wahrscheinlich Ende Vierzig. Sie hatten Charley mit echter Herzlichkeit in ihren Kreis aufgenommen, ihr Komplimente bezüglich ihres Aussehens gemacht und sich nach ihrer Familie erkundigt. Und beim Abschied war sie von beiden Familien nach Hause eingeladen worden, damit sie bloß nicht auf die Idee kam, sich während ihres Aufenthalts in Italien einsam zu fühlen. Und Niccolo hatte Raphael versichert, dass er sehr interessiert sei an dem Projekt und versprach, für eine rege Beteiligung der Lehrer und Schüler seiner Akademie zu sorgen. Charley hatte sich bemüht, zu dieser Entscheidung ihren Teil beizutragen, und sie hoffte, dass Raphael mit ihren Bemühungen zufrieden war.
Aber sie wusste es nicht. Auch nachdem sie wieder in sein Apartment zurückgekehrt waren, hüllte Raphael sich immer noch in Schweigen, genauso wie während der Fahrt. Auch im Verlauf des Abends hatte er Charley nie direkt angesprochen. Weil er zu sehr damit beschäftigt gewesen war, darauf zu achten, was sie sagte? Um sich bezüglich ihrer Kompetenz eine Meinung bilden und sie besser einschätzen zu können? Und so herauszufinden, ob sie der Aufgabe, mit der er sie betraut hatte, auch wirklich gewachsen war?
Angespornt von ihrem neuen Selbstbewusstsein fragte sie noch auf dem Flur spontan: „Wollen Sie mir nicht sagen, was eigentlich los ist? Wenn Sie es sich heute Abend anders überlegt haben … mit dem Projekt, meine ich …“
Raphael, der mit dem Rücken zu ihr stand, fuhr herum und unterbrach sie heftig: „Es hat nichts mit dem Projekt zu tun, sondern damit. “
Wenn er ausschließlich heute Abend gezwungen gewesen wäre, gegen sein Begehren anzukämpfen, wäre es ihm wahrscheinlich gelungen. Doch das war nicht der Fall. Er führte diesen Kampf bereits seit Tagen, ganz zu schweigen von den
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