Zur Liebe verführt: Roman (German Edition)
Stechuhr«, belehrte sie ihn und ging zu dem Mann, der eben Gaylens Ladung wog. »Davis, tun Sie den Ausschuss zum Papierholz. Die Fahrer sollen ihn am Montag zur Papierfabrik bringen. Wir können dieses Zeug ebenso gut verkaufen, anstatt es hier verrotten zu lassen.«
»Aber es gehört uns nicht«, gab Davis erstaunt zurück. »Wir verrechnen nur das Bauholz.«
»Clay Porter schickt es uns mit jeder Ladung«, erwiderte sie gedehnt. »Er muss also wollen, dass wir es bekommen.«
»Das gibt Zoff«, entfuhr es dem verblüfften Gaylen.
Anna sah Ethan an, der nur leicht nickte, sich umdrehte und ins Büro ging. Ihr war jedoch ein deutliches Aufblitzen in seinen tiefblauen Augen nicht entgangen.
Gaylen pfiff leise durch die Zähne. »Daher weht also der Wind?«
»Woher?«, fragte Anna mit warnendem Blick.
»Sie halten bei diesem Konflikt eindeutig zu den Knights.«
»Ich bin auf Ihrer Seite«, fuhr sie ihn entrüstet an. »Wenn Clay Porter nicht damit aufhört, Ihre Ladungen mit Schund aufzufüllen, ermögliche ich Ihnen eine Fahrt zur Papierfabrik, damit Sie wenigstens eine Teilstrecke nicht leer fahren müssen.«
Plötzlich grinste Gaylen. »So ist’s recht, Missy.« Er trat näher und senkte die Stimme. »Tut mir leid, wenn ich angedeutet habe, Sie hätten ein Auge auf Ethan geworfen. Ich hätte wissen müssen, dass Sie zu klug dafür sind.«
»Zu klug?«
»Sie sind hier noch fremd, deshalb wissen Sie vielleicht nicht, dass Ethan ein sturer Bock sein kann, besonders was Frauen betrifft.«
Anna kicherte. »Ethan macht mir keine Angst.«
»Sollte er aber. Er ist gefährlich, Anna. Eine Frau ist seinetwegen ums Leben gekommen.« Gaylen beugte sich vertraulich zu ihr. »Ich will ja nicht klatschen, ich will Sie nur warnen, damit Sie sich nicht von seinem guten Aussehen blenden lassen.«
»Sie finden, dass Ethan gut aussieht?«, fragte sie und blickte zum Büro hinüber, um ihr Lächeln zu verbergen. »Das ist mir gar nicht aufgefallen.«
Gaylen räusperte sich und stieß sie an. »Im Ernst, Anna. Die ganze Stadt weiß, dass er die Woche über in Fox Run ist. Ich will Sie nur warnen. Beschränken Sie die Beziehung aufs Geschäftliche.«
Sie tätschelte seinen Arm. »Betrachten Sie mich als gewarnt.«
Wieder räusperte er sich, um im nächsten Moment mit einem lauten Ausruf nach hinten zur Ladefläche zu laufen und Davis zur Rede zu stellen, weil dieser einen einwandfreien Baumstamm zum Ausschussstapel tun wollte. Anna überließ es den beiden, sich zu einigen, und ging ins Büro, um ihren Gehaltsscheck abzuholen – und um Ethan ein wenig zu ärgern.
Doch einen verschwundenen Mann zu reizen erwies sich als schwierig. Das Einzige, was Anna in ihrem Büro vorfand, war eine nagelneue 12-Kaliber-Schrotflinte auf ihrem Schreibtisch, eine Schachtel Feinschrot Nummer vier sowie ihren Scheck, auf dessen Umschlag gekritzelt stand: Bin
übers Wochenende nach Hause. Sperren Sie das Tor hinter sich ab, bringen Sie niemanden um, und vermissen Sie mich nicht zu sehr. Ethan
Anna griff nach der Patronenschachtel und schnaubte. Umbringen? Sie konnte von Glück reden, wenn sie jemanden mit dem Feinschrot ein paar Dellen verpasste. Ebenso gut hätte sie sich mit einer Faust voller Steine bewaffnen können.
9
A nna lag unter ihre dicke Daunendecke gekuschelt da und starrte zur Zimmerdecke hoch. Wieder hatte Ethan sie um den Schlaf gebracht. Sosehr sie sich auch bemühte, das Bild zu verdrängen, sah sie immer wieder Ethan vor sich, wie er Pamela Sant auf einer stockfinsteren Straße nachjagte und in den Oak Creek raste, der Frau nach, die sein ungeborenes Kind in sich trug.
Anna zweifelte nicht daran, dass Ethan versucht hatte, Pamela zu retten, und dabei selbst fast ertrunken wäre. War er nicht vor achtzehn Jahren ebenso entschlossen gewesen, Abigail Foster vor den verrohten Halbwüchsigen zu retten, die sie im Frost Lake in eine Falle gelockt hatten? Er hatte saftige Prügel ausgeteilt – aber sie wusste auch, dass zwei der Übeltäter die Nacht im Krankenhaus verbracht hatten und der dritte vermutlich bis heute auf der Flucht war. Gefährlich? Gewiss, Anna wusste genau, wie gefährlich Ethan sein konnte. Ihr würde bis an ihr Lebensende in Erinnerung bleiben, wie er sich in jenem längst vergangenen Sommer mit ihren Peinigern angelegt hatte.
Wäre etwas aus ihrer kindlichen Schwärmerei zu Ethan geworden, wenn man sie nicht nach Quebec verfrachtet hätte? Sie hatte ihn von Weitem still angebetet und ihn in ihrem
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