Zur Liebe verführt: Roman (German Edition)
kindlichen Herzen zum Helden erhoben. Zum Teufel,
teilweise tat sie es jetzt noch. Deshalb konnte sie es sich auch nicht verkneifen, ihn zu reizen, wann immer sich eine Möglichkeit bot. Endlich konnte sie ihre Kinderfantasie ausleben, nur viel besser, da Ethan sie nicht mit der schüchternen, linkischen Tochter von Oak Groves legendärem Flittchen in Verbindung brachte.
Abigail Fox hatte an jenem Tag zu existieren aufgehört, als André Segee das um sich tretende und schreiende Kind zu sich nach Kanada geholt hatte, ihren Familiennamen änderte und sie von da an mit ihrem zweiten Vornamen Anna rief. Jetzt bedurfte es mehr als ein paar jugendlicher Peiniger, um sie einzuschüchtern. Aufgewachsen unter den wachsamen Augen einer ruhigen und großzügigen Stiefmutter und vier willensstarken Halbbrüdern war sie nun stark und selbstsicher. Nicht zuletzt war es ihr Vater, der überzeugt gewesen war, dass das frankokanadische Blut in ihren Adern ihr die Stärke verlieh, nicht nur zu überleben, sondern sich positiv zu entwickeln.
Und das hatte sie auch, bis zu dem Moment, als sie ihm vor vier Monaten mit ihrer Eröffnung, sie wolle das Erbe antreten, das Grampy Fox ihr hinterlassen hatte, und zurück nach Maine gehen, Tränen entlockte. Sie müsse sich beweisen, dass sie mehr war als ihr Name. Daraufhin war er in Rage geraten. Obwohl er ihren SUV versteckt und es geschafft hatte, alle ihre Konten einzufrieren, hatte sie unbeirrt und mit nur ein paar Habseligkeiten und den zweitausend kanadischen Dollar, die Claire ihr in die Hand gedrückt hatte, einen Bus nach Maine bestiegen.
Schließlich setzte Anna sich mit einem resignierten Seufzen im Bett auf. Offenbar spielte es keine Rolle, in welcher
Richtung sie die Grenze überquerte; sie war dazu verdammt, immer ein schlechtes Gewissen zu haben, sei es deswegen, weil sie achtzehn Jahre lang ihren Großvater nicht besucht hatte oder weil sie seit vier Monaten die nervtötende Gewohnheit ihres Daddys, sich in alle Einzelheiten ihres Lebens einzumischen, vermisste.
Und da sie dank aller Ärgernis erregenden Männer in ihrem Leben ohnehin keinen Schlaf finden würde, entschied Anna sich, den Generator anzuwerfen und sich ihr lächerliches Budget vorzuknöpfen. Sie schlug das Federbett zurück, griff nach der Taschenlampe, als sie in ihre Pantoffel schlüpfte, warf ihren Morgenmantel aus dunklem Flanell um und ging hinunter. Sie durchschritt das Wohnzimmer und richtete das Licht auf Bear in seinem Bett neben dem Ofen, in der Küche sodann auf das leere Bord, ehe sie die hintere Tür öffnete.
Sie hatte keine zwei Schritte zum Generator-Schuppen zurückgelegt, als sie ein Geräusch hörte, das klang, wie wenn etwas im Küchenhaus auf der andere Seite des Camps zu Boden gefallen wäre. Sofort schaltete sie die Taschenlampe aus und trat zurück ins Haus. Leise schloss und versperrte sie die Tür. Sie drückte beide Hände auf ihr rasendes Herz. Verdammt, wie sie unbekannte und beängstigende nächtliche Geräusche hasste!
Ausgerechnet wenn Ethan nicht zur Stelle war.
Was bedeutete, dass es ein wachsamer, irdischer Jemand war, der durch ihre Nebengebäude schlich. Obwohl ihr Verstand wusste, dass es keine Gespenster, keine Baumgeister oder sagenhaften Kreaturen gab, wünschte sie sich verzweifelt, ihr pochendes Herz würde wieder zur Ruhe kommen.
»Es sind Waschbären«, sagte sie laut, damit sie sich nicht so allein fühlte. »Es ist ein Tier oder ein Mensch und kein Gespenst, das hier rumort. Und jetzt reicht es mir, verdammt, und ich mache Schluss!« Sie marschierte ins Wohnzimmer und griff sich die Schrotflinte, die Ethan ihr geborgt hatte. »Zumindest kann ich den Eindringling erschrecken.« Sie streifte die Pantoffel ab und zwängte ihre Füße in Gummistiefel.
Sie vergewisserte sich, dass die Sicherung an der Flinte eingerastet war, und steckte eine Patrone in die Kammer, dann füllte sie das Magazin mit vier weiteren Patronen. Sie steckte die Taschenlampe ein, zog den Gürtel ihres Bademantels fester zu und ging durch die Küche zur hinteren Tür.
Bear stieß gegen ihr Bein und versuchte, sich an ihr vorbei ins Freie zu drängen. »Nein, Kleiner, du kannst nicht mitkommen. Ich kann mich nicht auch noch um dich sorgen«, flüsterte sie und schob ihn sanft zurück ins Haus, als sie aus der Tür schlüpfte.
Anna richtete sich auf und spähte in die Dunkelheit, die das alte Werksgelände einhüllte. Sie holte tief Atem und ging dann die Verandastufen hinunter. Sie
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